Neuss Venedigs Kaufleute auf glattem Börsenparkett

Neuss · Catja Baumann hat am RLT "Der Kaufmann von Venedig" von Shakespeare mit einem geschlossen agierenden Ensemble inszeniert.

 (v.l.) Shylock (Michael Putschli), Lanzelot (Jonathan Schimmer), Antonio (Henning Strübbe) und Bassanio (Richard Erben) verhandeln über den Deal.

(v.l.) Shylock (Michael Putschli), Lanzelot (Jonathan Schimmer), Antonio (Henning Strübbe) und Bassanio (Richard Erben) verhandeln über den Deal.

Foto: B. Hickmann

Der Abend endet, wie er begonnen hat. Mit der Eingangssequenz von Pink Floyds "Money". Aber mit einem entscheidenden Unterschied. Der eine, der Kaufmann Antonio, ist (wieder) ein gemachter Mann; der andere, der Geldverleiher Shylock, hat alles verloren, was ihm zuvor wichtig war: seinen Lebensinhalt Rache, Vermögen, Haus, Tochter. In dieser Reihenfolge. Das Glück des einen ist das Unglück des anderen? Irgendwie ja, und dennoch wirkt Antonio alles andere als glücklich. Lautlos lachend steht er da, mit gebleckten Zähnen, dreht sich um und schaut auf Shylock, der starren Gesichts die Szene betritt.

Das Ende ihrer Inszenierung des Shakespeare-Stücks "Der Kaufmann von Venedig" lässt Catja Baumann am RLT (wobei Intendantin Bettina Jahnke die Arbeit wegen einer Erkrankung Baumanns zu Ende gebracht hat), offen. Es gibt keinen richtigen Gewinner und keinen richtigen Verlierer. Antonio hat Leben und Geld zurück und wirkt, als ob ihm das gar nicht recht ist; Shylock hat ersteres behalten und zweites verloren, aber er steht (wieder). Ein folgerichtiger Schluss einer Bearbeitung, die zwar kein gänzlich neues Licht auf das Stück wirft, aber stimmige Nuancen entwickelt.

Wie viel ist nicht schon über diesen "Kaufmann" gesagt, wie unterschiedlich ist er inszeniert worden. In Deutschland ist es immer eine Gratwanderung, den von Shakespeare hässlich gezeichneten jüdischen Geldverleiher Shylock in einen Bühnencharakter umzusetzen, ohne sich dem Vorwurf des Antisemitismus auszusetzen. Nicht gerade erleichternd ist der Umstand, dass das Stück als Komödie geschrieben ist, aber eben ein dramatisch ernstes Thema beackert.

Der Kaufmann Antonio leiht sich von Shylock Geld, um seinem Freund Bassanio das Werben um die schöne und reiche Portia zu ermöglichen. Shylock nimmt keine Zinsen, sondern verlangt stattdessen "ein Pfund von Antonios Fleisch". Das wird fällig, als Antonios Vermögen mit seinen Schiffen untergegangen zu sein scheint. Shylock besteht auf seinem Recht und wird doch ausgetrickst, indem er zwar das Pfund Fleisch, aber ohne ein Gramm mehr oder weniger und ohne einen Tropfen von Antonios Blut entnehmen darf ...

Catja Baumann und ihre Dramaturgin Alexandra Engelmann haben den zwar nicht neuen, aber klugen Weg gewählt, das Geschehen in die heutige Finanzwelt zu übertragen und die Geschichte zudem auf ihre wesentlichen Aussagen einzustreichen. Sie bedienen die Komödie, in dem sie den trockenen Witz der Vorlage wahren, aber auch Bilder mit einem eigenen entwerfen. Etwa jenes, in dem Shylocks abtrünniger Angestellter Lanzelot (Jonathan Schimmer) das Hin und Her über Bleiben oder Gehen in einem Dialog mit Hemden (Shylock) und Aktenordner (Bassanio) auskämpft. Einen kleinen, aber herrlich komischen Auftritt hat auch Joachim Berger als sonderlicher Prinz von Marokko.

Auf der Bühne werden zwei Welten entworfen, denen Ausstatterin Anja Koch-Klenk mit wenigen Mitteln Raum gibt. An der Rampe das dunkle Parkett der Börsenmenschen in schicken Anzügen, hinter der Schiebetür der dunklen Rückwand das Reich der schönen Portia in hellem Beige und ganz aus Stoff. Üppig drapiert und doch eine Zwangsjacke, denn er umschließt die junge Frau und hält sie an ihrem Platz fest, bis der Richtige kommt: Bei Baumann gewinnt der in der Liebeslotterie nicht das Bild Portias, sondern natürlich eine Schere.

Ganz ernst hingegen nimmt sie die Hauptfiguren. Die Antonio von Shakespeare zugesprochene Melancholie wirkt jetzt wie der Überdruss am hektischen Leben auf dem Börsenparkett und wird von Henning Strübbe auch sehr fein nuanciert ausgespielt. Den eleganten und kalt wirkenden Shylock umgibt Michael Putschli mit einem dicken Panzer aus Unnahbarkeit und lässt doch immer wieder durchscheinen, dass dessen Hass und Trachten nach Rache seine Wurzel im Leiden am ewigen Ausgegrenztsein hat. Ulrike Knoblochs starke Portia, die verkleidet als Rechtsgelehrte das vernichtende Urteil gegen Shylock spricht (und alle Männer ein bisschen dumm aussehen lässt), ist die dritte Schlüsselfigur. Und bei jeder wird deutlich, dass sie weiß, dass sie nicht ohne Schuld ist.

In diesem Dreieck bewegen sich im richtigen Maß der ungestüme Bassanio (Richard Erben), der prollige Gratiano (Rainer Scharenberg), die toughe Saleria — statt Salerio — (Claudia Felix), der nette Lorenzo (Gabriel Rodriguez), die aufmüpfige Shylock-Tochter Jessica (Sigrid Dispert) und die steife Zofe Portias, Nerissa (Katharina Dalichau).

(NGZ)
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