Neuss Turnfest bringt Neusserinnen wieder in Bewegung

Neuss · Seit fünf Jahren trainieren acht Frauen, nun zwischen 40 und 50 Jahre alt, für ihr Comeback beim großen Fest des Breitensports in Ludwigshafen.

Neusser Turnerinnen trainieren für das Comeback
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Das große Ziel rückt in weite Ferne, wenn schon der kleine Anlauf für Schmerzen in den Knien sorgt. 15 Schritte sind es bis zum Sprungbrett, 1,15 Meter über das Pauschenpferd. Silke Röhrich (42) nimmt die Bahn ins Auge, dann läuft sie los: Die Füße stampfen, das Brett federt - drüber, gelandet auf der Matte, geschafft. Wieder und wieder wird das an diesem Abend so gehen. Turnen ist Wiederholung, ist Quälen, ist großer Aufwand für kleinen Ertrag und bedeutet der Frauengruppe in der Halle der TG Neuss doch ein Stück wiedergewonnene Lebensqualität.

Zwischen 40 und 50 sind die meisten, zu Hause sitzen Ehemann und Kinder. Die Teilnahme am Deutschen Turnfest ist das Versprechen, durchzuhalten. Ein Abend in der Woche gehört ihnen und dem Kampf gegen den inneren Schweinehund. "Wir haben den Hintern hochbekommen", sagt Sabine Staib (49).

Fünf Jahre ist es her, da erinnerten sich einige aus der heutigen Mannschaft ihrer sportliche Vergangenheit: In Kisten auf dem Dachboden und in Fotoalben fanden sich Bilder aus der Jugend. Vorwitzige Mädchen sind darauf zu sehen, die für die Fotografen in den Spagat gingen. Daneben Sportler und Sportlerinnen aus anderen Klubs. Im Hintergrund werden Fahnen und Wimpel gehalten. "Turnfeste waren immer ein Riesenerlebnis. Da war der Wettkampf. Aber da war auch das Treffen mit anderen Sportlern, das Zusammensein und Wir-Gefühl", sagt Mie Ling Niering (40) und sortiert die Fotos. Heute ist sie die Trainerin einer Mannschaft, die dem Verein nicht unbedingt ein Aushängeschild ist, weshalb die Frauen für ihre Trainingszeiten kämpfen mussten. "Es war ja klar, dass wir einen harten Weg vor uns haben würden. Aber wir sind eine tolle Truppe und haben Ehrgeiz entwickelt", sagt Niering.

Noch einmal Wettkampf, sich selbst und den anderen beweisen, dass mit 40 ein Neustart möglich ist: Simone Trilk (46) hat sich den dunkelblau-himmelblauen Wettkampfanzug übergestreift. Als am Barren der Körper nicht dahin folgt, wo die Arme hinziehen, bricht Trilk in Gelächter aus. Man müsse über sich selbst Witze machen können, sagt sie, nachdem sie unermüdlich den Barren bekämpft hat. Es ist diese Haltung, die auch den anderen die Angst nimmt, sich lächerlich zu machen. Etwa vor den eigenen Töchtern, die nur wenige Meter entfernt in der Leistungsgruppe trainieren.

"Am Anfang war das vielleicht ein Thema. Jetzt nicht mehr", sagt Sabine Staib. Bis sie 14 war, turnte die Neusserin im Verein. Dann kam die Pubertät, anderes wurde wichtiger. "Ich wäre gerne besser gewesen", sagt sie. Mit den anderen Frauen ist auch der eigene Ehrgeiz zurückgekehrt. Beim Turnfest soll eine vordere Platzierung im Wahlwettkampf herausspringen: "Wir reisen ja nicht Hunderte von Kilometer, um dann nur dabei gewesen zu sein."

Es geht nach Ludwigshafen. Eine von 21 Städten, die das Internationale Deutsche Turnfest erstmals in seiner nun 153-jährigen Geschichte als Region austragen. 50 000 Teilnehmer aus 3400 Vereinen sorgen ab Samstag für die größte Massensportveranstaltung der Welt. "Nicht die Fußballer, wir Turner sind die größte Bewegung in Deutschland", sagt Mie Ling Niering.

Das Turnfest ist die Bühne für Sportarten, die sonst ein Schattendasein führen: Rhönradturnen, Korfball oder Einrad. Die Neusserinnen freuen auf das Treffen mit anderen Sportlern. "Wir wollen sehen, was die anderen können: die Profis und die richtig guten Amateure", sagt Silke Röhrich. Das große Ziel ist fast erreicht. 15 Schritte sind es bis zum Sprungbrett, 1,15 Meter über das Pauschenpferd, noch wenige Tage bis zum Turnfest.

(url/anch/EW)
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