Neuss Als Tennis noch richtig brummte

Neuss · Vor 25 Jahren siegte Michael Stich gegen Boris Becker in Wimbledon. Der Tennis-Boom nahm richtig Fahrt auf. Heute haben die Tennisclubs deutlich weniger Mitglieder. Aber in Neuss geht es langsam aufwärts.

Tennis-Clubs haben in Neuss langsam mehr Mitglieder
Foto: Woitschützke Andreas

Der 7. Juli 1991 ist im Rheinland ein brüllend heißer Tag. Aber egal, wie sehr die Sonne draußen knallt: Statt an den Badesee geht es vor den Fernseher. In Wimbledon treffen Michael Stich und Boris Becker aufeinander, das Duell der großen Rivalen lässt sich heute, 25 Jahre danach, durchaus als Höhepunkt des Tennis-Booms bezeichnen. Sportlich, aber vor allem in der Außenwirkung. Zwei Deutsche im Herren-Finale des Turniers, das vielen als das bedeutendste im Kalender der ATP-Tour gilt, und am Vortag der Sieg von Steffi Graf in der Damen-Konkurrenz - über dem Center Court von Wimbledon wehte die schwarz-rot-goldene Fahne.

Gösta Müller, hauptamtlicher Geschäftsführer, des Stadtsportverbandes Neuss, weiß noch genau, wo er das Match zwischen Stich und Becker verfolgt hat. "Ich war zu Besuch bei meiner Cousine in Holnis, das ist nördlich von Glücksburg. Sie war am Strand und ging surfen, ich habe das Spiel geschaut", sagt er. "Solche Sport-Highlights vergisst man nicht." Tennisgucken war damals wie um die Jahrtausendwende Formel-1-Schauen: ein Quotenrenner. Und die Tennisclubs boomten.

1991 waren beim Tennisverband Niederrhein 166.457 Mitglieder in 521 Vereinen registriert, bis 1993 schnellten die Zahlen auf 169.597 Mitglieder in 524 Vereinen hoch. Das war die Spitzenzahl, mehr ging nicht. 2015 waren es 95.341 Mitglieder in 442 Vereinen. Ein Trend, der vor Neuss nicht Halt gemacht hat. "Wir haben uns im Zusammenhang mit dem Sportentwicklungsplan mit den Mitgliederzahlen der Tennisclubs beschäftigt - und die waren lange rückläufig", sagt Gösta Müller. Nach dem Boom - nach Bum-Bum-Boris, Michael Stich und Steffi Graf - folgte der Kater. Als die Karrieren der Top-Stars ausklangen, schwand das Interesse. Das Fernsehen übertrug immer weniger Turniere, der Nachwuchs begann, sich umzuorientieren. Jeder Sport braucht Helden, und die wurden nun woanders gesucht, vor allem im alles überstrahlenden Fußball.

Aber es gibt gute Nachrichten für den Tennissport. "Die Zahlen ziehen in Neuss langsam wieder an", sagt Gösta Müller. Laut Christian Stoffels, stellvertretender Leiter des Sportamtes, zählten die Tennisvereine 2014 in Neuss 3084 Mitglieder. 2011 waren es 2930. Den Trend spürt auch Ingrid Haase-Kirschbaum. Mit ihrer Schwester Angelika Haase-Klebsch führt sie den Familienbetrieb "Sport Haase" an der Venloer Straße. 1959 wurde der Betrieb gegründet, die Hochzeiten und die Talsohle des Tennissports waren im täglichen Geschäft spürbar. Irgendwann kamen weniger Sportler, um sich Schläger bespannen zu lassen oder neue Rackets zu kaufen. "Aber das ändert sich gerade", sagt Haase-Kirschbaum. Viele, die über Becker, Stich und Graf den Tennissport entdeckten, würden jetzt wieder aktiv. "Erst fehlte ihnen wegen Ausbildung und Studium die Zeit, dann folgte die Familiengründung. Jetzt, wo ihre Kinder in die Schule gehen, steigen sie wieder ein und bringen ihre Kinder mit."

Vielleicht erinnern sie sich auch an jenen Sonntag vor 25 Jahren, als Michael Stich den favorisierten Boris Becker mit 6:4, 7:6, 6:4 besiegte und Tennis so richtig groß in Deutschland war.

(NGZ)
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