Neuss Tagesmütter fürchten um ihre Existenz

Neuss · Viele Tagesmütter wissen nicht weiter. Immer weniger Kinder melden sich bei ihnen an, von Politik und Justiz fühlen sie sich alleingelassen.

 Tagesmutter Marie Kahlenberg betreut neben Sohn Hans-Josef (re.) noch ein Tageskind, den einjährigen Adrian. Einst hatte sie viel mehr Schützlinge.

Tagesmutter Marie Kahlenberg betreut neben Sohn Hans-Josef (re.) noch ein Tageskind, den einjährigen Adrian. Einst hatte sie viel mehr Schützlinge.

Foto: lh

In Marie Kahlenbergs Wohnzimmer ist alles auf die Bedürfnisse ihrer kleinen Besucher eingerichtet. Es gibt eine große Spielecke, und wenn es drinnen langweilig wird, gibt es draußen im Garten viel Platz zum Toben. "Mindestens fünf Kinder habe ich in den vergangenen Jahren immer betreut", erzählt die Tagesmutter, die afrikanische Wurzeln hat und mit einem Neusser verheiratet ist. Mittlerweile erinnern an frühere Ausflüge mit ihrer "Rasselbande" nur noch Fotos — heute betreut die Tagesmutter neben ihrem zweijährigen Sohn Hans-Josef nur noch ein Tageskind, den einjährigen Adrian.

So wie Marie Kahlenberg geht es vielen Tagesmüttern. "Hauptgrund ist das Drängen der Eltern auf die Kita-Plätze für unter Dreijährige", erzählt Isabella Arzt. Die Tagesmutter aus der Nordstadt versucht derzeit, für ihre Neusser Kolleginnen so etwas wie eine Lobby zu schaffen. "Wir müssen uns besser organisieren", sagt Arzt. Viele Eltern seien wegen des ab August geltenden Rechtsanspruchs auf die Betreuung unter Dreijähriger verunsichert. Der gilt eigentlich für die Kita und für die Tagespflege — doch die Kita wird häufig vorgezogen. "Zu Unrecht", findet Isabella Arzt. Denn gerade die Tagespflege ermögliche es, auf jedes Kind individuell einzugehen, sich in kleinen Gruppen viel Zeit für jeden Schützling zu nehmen. "Die Erzieherinnen in den Kitas haben dafür oft nur wenig Zeit", sagt Arzt, die zum kommenden Kindergartenjahr ihre Stundenzahl reduzieren wird, weil sich der Aufwand für sie kaum noch lohnt. "Ich kenne viele Tagesmütter, die ganz aufhören", sagt Arzt. Denn ein weiteres Problem ist die Bezahlung: 4,50 Euro pro Stunde pro Kind werden von der Stadt finanziert, von ihrem Verdienst müssen sich die Tagesmütter selbst versichern und Räume zur Verfügung stellen. "Das geht nur als Nebenjob", sagt Arzt, die wie ihre Kollegein Marie Kahlenberg und viele andere Frauen in diesem Beruf die Sicherheit hat, dass ein Ehemann als Hauptverdiener an ihrer Seite steht. Dass beispielsweise das Bundesfamilienministerium mit dem Slogan "Tagespflege — eine neue berufliche Perspektive" wirbt, kann sie überhaupt nicht nachvollziehen. "Das ärgert mich, weil es falsche Hoffnungen weckt", sagt Arzt.

Den geringen Verdienst von 4,50 Euro werten viele Tagesmütter mit Elternbeiträgen auf, nehmen etwa für Essen oder Ausflüge Pauschalen von 50 Cent bis zwei Euro pro Stunde. Marie Kahlenberg kommt so auf einen Verdienst von sechs Euro pro Stunde pro Kind — "reich werde ich damit aber sicher nicht, vor allem nicht, wenn die Nachfrage weiter zurückgeht", sagt sie.

Immerhin müssen die Tagesmütter nicht fürchten, dass dieser Zusatzverdienst beschnitten wird — so wie es etwa in Meerbusch der Fall ist, wo Zusatzpauschalen verboten wurden. Solch ein "Reinregieren" soll es nach Auskunft von Sozialdezernent Stefan Hahn in Neuss nicht geben. Die Probleme der Tagesmütter sind dem Dezernenten, der beim Kita-Ausbau stark auf die Tagespflege gesetzt hatte, nicht neu. "In Beratungsgesprächen mit den Eltern werben wir gezielt für die Tagespflege", sagt er. "Denn gerade für die kleinen Kinder ist sie oft die bessere Alternative."

(NGZ)
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