Tag der Archive in Neuss Von Briefen, Kabeln und Depeschen

Neuss · In den 1980er Jahren wurde die Kommunikation elektronisch. Neuss bekam „Kabel“. Beim Tag der Archive geht es um Kommunikation, Medien und ihre wechselvolle Geschichte.

 Kein Anschluss? Das undatierte Bild zeigt einen Neusser Jungen in einem Münzfernsprecher. Das Archiv wüsste gerne, wer das ist.

Kein Anschluss? Das undatierte Bild zeigt einen Neusser Jungen in einem Münzfernsprecher. Das Archiv wüsste gerne, wer das ist.

Foto: Stadtarchiv Neuss/Philipp Groß

Hieroglyphen wurden in Neuss nie gemalt und Keilschrift-Kratzer gab es auch nicht an Rhein und Erft. Doch seit Erfindung der Schrift wurde in Neuss auch schriftlich kommuniziert. Das war schon in Römerzeiten so, als an der wichtigsten Heerstraße in Untergermanien ein befestigtes Lager aufgeschlagen und da auch eine Poststelle eingerichtet wurde. Und es blieb so durch die Jahrhunderte. Doch Medien wie Kommunikationswege haben sich radikal gewandelt – und der Austausch von Nachrichten wurde immer wieder auch kontrolliert und reglementiert.

Diesen Wandel drückt das Thema aus, das am Samstag, 7. März, über dem Tag der Archive steht: „Kommunikation – Von der Depesche bis zum Tweet“. Auch wenn Twitter einer der wenigen „Kanäle“ ist, den das Stadtarchiv an der Oberstraße (noch) nicht bedient. Doch Facebook „kann“ die Behörde längst – und wird am Samstag auch Beiträge aus der Veranstaltung über dieses Medium verbreiten. „Wir sind im 21. Jahrhundert angekommen“, sagt Archivleiter Jens Metzdorf.

Die Gebäude Will man Kommunikation verorten, kommt man am Gebäude des Stadtarchiv nicht vorbei. Das Gedächtnis der Stadt ist in der ehemaligen Thurn- und Taxi´schen Post untergebracht. Anfang des 19. Jahrhundert wurde die Post an den Markt verlegt, bevor 1879 an der Neustraße ein Neubau für sie entstand – die heutige Alte Post. Sie heißt so, weil 1985 am Hauptbahnhof die Hauptpost bezugsfertig wurde. 1914 bis 1916 kam noch das Telegrafenamt an der Michaelstraße hinzu, das zur Entstehungszeit kriegswichtig war, 80 Jahre später jegliche Bedeutung verloren hatte. „Telegramme zu schreiben, ist ausgestorben“, sagt Sabine Weber, die stellvertretende Archivleiterin. Genauso antiquiert sind die öffentlichen Münzfernsprecher, die inzwischen aus dem Stadtbild als Kommunikationsorte fast gänzlich verschwunden sind.

Depeschen Im Mittelalter war ein Medium, über das die Stadt mit anderen Kommunen Verbindung hielt, die Depesche. Überbracht wurden sie von Botengängern, über die (und deren Lohn) ein Rechnungsbuch Aufschluss gibt, das am Samstag gezeigt wird. Botengänger, so ist zu den Dienstpflichten bekannt, mussten der Stadt „getreu, hold, gehorsam und willig sein“ und „jedermann Botschaft in guter Hut bedeckt bei sich halten“. Für Metzdorf ein früher Beleg von Postgeheimnis, oder – wie man heute hinzufügen müsste – Datenschutz.

 Jürgen Brautmeier, Sabine Weber und Jens Metzdorf stellen das Programm zum Tag der Archive am Samstag in Neuss vor.

Jürgen Brautmeier, Sabine Weber und Jens Metzdorf stellen das Programm zum Tag der Archive am Samstag in Neuss vor.

Foto: Georg Salzburg (salz)

Briefe Bevor das Telegramm die Nachrichtenübermittlung extrem beschleunigte, war der Brief Stand der Technik. Wilhelm Müller, ein Experte für die Geschichte des Postwesens bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges, wird beim Tag der Archive dazu sprechen (13 Uhr) und aus seiner Sammlung Briefe, Siegel, Poststempel – den mit 404 Neuss gibt es ja auch nicht mehr – und Briefmarken ausstellen. Die erste mit einem Neuss-Motiv stammt aus dem Jahr 1975, eine zweite wurde zur 2000-Jahr-Feier 1984 aufgelegt.

Telegramme Mit der Telegrafie wurden die Nachrichten schnell. Auch im Behördenverkehr. Zu den kleinen Schätzen aus dieser Epoche stammt ein „Kabel“ aus dem November 1918, in dem Matthias Erzberger, Chef der deutschen Waffenstillstandskommission, an Oberbürgermeister Gielen schrieb: „ob neuss besatzung erhält noch unbestimmt“. Stop.

Feldpost In Kriegszeiten war die Post das wichtigste Bindeglied zwischen Heimat und Front. Feldpost wurde bevorzugt transportiert und war so wichtig wie Proviant. Aber auch die Familien hielten untereinander brieflich Kontakt– vor allem im Zweiten Weltkrieg, als viele Kinder und Frauen angesichts der Bombenangriffe evakuiert werden mussten. „Uns geht es gut“ war dann die beste aller möglichen Kunden, die der Briefträger überbringen konnte – und so hat Jürgen Brautmeier auch seinen Vortrag (12 Uhr) überschrieben. In all diesen Briefen wurde auch viel aus dem Alltag berichtet, und das macht sie zu einer wichtigen Quelle – erst recht in Zeiten, in denen die Zahl der Zeitzeugen immer kleiner wird. Brautmeier will seinen Vortrag deshalb mit dem Aufruf an die Familien in Neuss verbinden, Briefe aus dieser Zeit dem Stadtarchiv anzuvertrauen.

Brieftauben Der Orientierungssinn der Tauben und ihre Fähigkeit, immer in den eigenen Schlag zu finden, brachte die Menschen früh dazu, die Vögel als Kuriere einzusetzen. Das Militär nutzte das im Ersten Weltkrieg, doch als 1918 endlich die Waffen schwiegen, wurden Brieftaubenzüchter den belgischen Besatzern verdächtig. Im Archiv ist der Beleg dafür in Form einer auf den 10. Mai 1919 datierten und in Neuss plakatierten Anordnung des Befehlshabers erhalten. Darin wird – unter Androhung von Gefängnis – die Abgabe von Brieftauben verlangt. Heinz Flamm von der Reisevereinigung Neuss der Brieftaubenzüchter wird über die Rolle dieser Vögel in der Nachrichtenübermittlung sprechen (15 Uhr).

Kabel In den 1980er Jahren wurde die Kommunikation elektronisch. Neuss bekam „Kabel“. Damit wurde eine Entwicklung angestoßen, die noch nicht abgeschlossen ist.

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