Von der Politik „ausgehungert“ Vormundschaften zu teuer: SkF steigt aus

Neuss · Auf die Stadtverwaltung kommt ein Problem zu. Weil die Pauschalen für die Betreuung von Menschen seit Jahren nicht mehr die Kosten deckt, steigen die Betreuungsvereine aus. Findet sich kein Ersatz, muss die Stadt einspringen.

 Zogen die Reißleine: Elke Kroner, Stefanie Sassenrath und Ruth Braun (v.l.).

Zogen die Reißleine: Elke Kroner, Stefanie Sassenrath und Ruth Braun (v.l.).

Foto: Christoph Kleinau

Bundesweit sterben die Betreuungsvereine, jetzt ereilt dieses Schicksal auch den Sozialdienst katholischer Frauen (SkF). Spätestens Ende Juli 2019 trennt sich der Sozialverband von dem Fachbereich, der Menschen bei der Bewältigung des Alltags hilft. Früher nannte man das Vormundschaft. „Der Ausstieg ist bitter“, bekennt die Fachbereichsleiterin Elke Kroner. Und er lässt ein Problem für die Stadt entstehen.

Kroner macht ebenso wie die Vorsitzende Stefanie Sassenrath und Geschäftsführerin Ruth Braun die Politik auf Landes- und Bundesebene dafür verantwortlich, die die Dienste regelrecht ausgehungert hätten. Denn trotz aller Proteste, Appelle und politischen Initiativen wurde die Fallpauschale in Höhe von 44 Euro, mit der die Arbeit der Betreuer vergütet wird, seit 2005 nicht mehr erhöht – während die Kosten seitdem um mehr als 30 Prozent gestiegen seien. Vom Umfang der Arbeit, dem bürokratischen Aufwand, der Verantwortung ganz zu schweigen. Ohne die Hilfe der Stadt, die einen von Jahr zu Jahr angepassten Personalkostenzuschuss gewährt, „hätten wir noch früher aufgeben müssen“, sagt Braun.

Der SkF sei bemüht, so schnell wie möglich für Mitarbeiter wie Betreute eine Lösung zu finden, versichert Braun. Doch im Rathaus bereitet man sich schon auf ein anderes Szenario vor. Die Sicherstellung von – durch das Amtsgericht eingerichteten – Betreuungen ist eine kommunale Pflichtaufgabe, heißt es dazu in einem Bericht an den Sozialausschuss, der sich nächste Woche mit diesem Thema beschäftigen muss. Das heißt: Im schlechtesten Fall muss die Stadt, die dank der Verbände  aktuell nur 58 Betreuungen führen muss, den Dienst mit eigenem Personal sicherstellen – zu den nach wie vor nicht kostendeckenden Fallpauschalen.

„Es ist ja nicht so, als hätten wir nicht lange und oft genug gewarnt“, sagt Philip Benning, der Vorsitzende des Sozialdienstes katholischer Männer (SKM). Sein Verband, der ebenfalls Menschen betreut, war im Schulterschluss mit dem SkF und dem ebenfalls betroffenen Diakonischen Werk im Vorjahr an den damaligen Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe herangetreten. Der brachte zwar ein Gesetz zur Erhöhung der Vergütungen um 15 Prozent durch den Bundestag, doch wurde die Umsetzung vom Bundesrat als Länderkammer abgeblockt. Seitdem ist das Thema über Absichtserklärungen in Koalitionsverträgen im Bund und in NRW nicht hinausgekommen. Stefanie Sassenrath, die im Vorjahr noch an ein gutes Ende glauben wollte und die Parole „Durchhalten“ ausgab, zog deshalb jetzt mit Rückendeckung der Mitglieder die Reißleine. Seit 2005 hätte der SkF Eigenmittel in hoher sechsstelliger Größenordnung zugebuttert, das könne man sich nicht mehr länger leisten.

„Während die Politik über die Qualität in der rechtlichen Betreuung diskutiert und dies offensichtlich nutzt, um Entscheidungen über die Pauschalen zu vertagen, geht in Neuss in Jahrzehnten erworbenes Fachwissen den Bach runter“, sagt SKM-Vorstand Benning. Sein Verband hat die gleichen finanziellen Sorgen, konnte sich aber durch interne Umstrukturierungen noch  einmal Luft verschaffen. An seinen Verband ist der SkF ebenso mit der Bitte herangetreten, ihm Fälle abzunehmen, wie an die Diakonie.

Der Ausstieg des SkF bedeutet nach Sassenraths Darstellung auch einen Rückschlag für das Ehrenamt. Denn anders als die Berufsbetreuer müssen Betreuungsvereine ehrenamtliche Betreuer anwerben, schulen und begleiten. „Der Rückzug des SkF kann durch anderweitige Betreuer aufgefangen werden“, sagt Kay Krüger vom Amtsgericht. Ehrenamtliche scheiden dabei aber aus Sicht der Stadt aus. Sie kümmern sich meist um Familienangehörige und seien – auch wegen der damit verbundenen Haftung – nicht willens, fremde Menschen zu betreuen.

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