Rainer Wendt Sicherheit und Freiheit sind keine Gegensätze

Neuss · Rainer Wendt, der Bundesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, wird am Sonntag in Kaarst beim Neujahrsempfang der CDU sprechen.

Rainer Wendt: Sicherheit und Freiheit sind keine Gegensätze
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Herr Wendt, wodurch ist Ihrer Meinung nach Deutschland in Gefahr?

RAiner Wendt In den vergangenen Jahrzehnten sind staatliche Strukturen dramatisch geschwächt worden. Daher sind wir kaum noch in der Lage, neue Herausforderungen zu schultern, ohne woanders Lücken zu reißen. Nirgendwo sonst wird dies so deutlich wie bei der Polizei.

Erst kürzlich wurde ein mutmaßlicher Terrorist in Neuss festgenommen, einige Monate zuvor kam heraus, dass ein Verdächtiger in Kaarst gelebt haben soll. Verstärken derartige Vorkommnisse das Gefühl, nicht mehr sicher zu sein?

Wendt Terroranschläge oder die Kölner Silvesternacht haben das Unsicherheitsgefühl extrem verstärkt. Weihnachtsmärkte hinter Betonwänden, Auflagen wie Lkw-Verbote bei bevorstehenden Karnevalsumzügen - natürlich weckt all dies Kriminalitätsfurcht. Obwohl jeder weiß, dass die Wahrscheinlichkeit, Opfer eines Terroranschlags werden zu können, äußerst gering ist. Furcht lässt sich aber nicht mit Statistik begegnen, sondern nur mit Polizeipräsenz.

Haben Sie ein Ideal von Sicherheit und wie sieht es aus?

Wendt Sicherheit darf nicht im Gegensatz zur Freiheit definiert werden. Sicherheit ist dazu da, Freiheit zu gewährleisten. Sicherheit ist aber nicht nur die Abwesenheit von Kriminalität, sondern auch die Abwesenheit von Kriminalitätsfurcht.

Woran liegt es Ihrer Ansicht nach, dass die Kriminalitätsfurcht gestiegen ist?

Wendt Es gibt zu wenig Präsenz von Polizei in der Öffentlichkeit. Den alten Schutzmann an der Ecke wird es wohl nie wieder geben. Jetzt haben wir aber genau das andere Extrem: Hin und wieder mal ein Streifenwagen, der vorbeifährt. Darunter leiden die Menschen, trauen sich abends nicht mehr auf die Straße. Zu wenig Sicherheit führt zu einem Verlust an Freiheit.

Haben Sie ein Rezept gegen das mangelnde Sicherheitsgefühl?

Wendt Ich will erreichen, dass wir wieder in Freiheit und ohne Furcht leben können. Ein gewisses Maß an Kriminalität gibt es in jeder Gesellschaft. Aber wir müssen sie möglichst gering halten. Allein die Entwicklung der Wohnungseinbruchskriminalität mit den erschreckend niedrigen Aufklärungsquoten und noch viel niedrigeren Verurteilungsquoten belegt, dass da noch eine Menge zu tun ist.

Sie sagen, es gibt eine Menge zu tun - was fordern Sie konkret?

Wendt Wir müssen die Polizei und die Nachrichtendienste drastisch verstärken. Da reichen 15.000 neue Planstellen bei weitem nicht aus. Es sollten eher 50.000 sein. Das nützt uns aber nichts, wenn wir nicht gleichzeitig die Justiz und den Justizvollzug stärken. Polizei und Justiz sind aber nur der Reparaturbetrieb der Gesellschaft. Deshalb muss es in Schulen und Kitas einen enormen Investitionsschub geben. Denn, was wir dort richtig machen, müssen Polizei und Justiz nicht mehr reparieren.

Haben Sie nicht die Sorge, dass Sie mit Ihren Thesen zusätzlich Ängste und Vorurteile schüren könnten?

Wendt Die hätte ich, wenn die Ängste nach meinem Buch entstanden wären. Ich beschreibe aber die Ängste, die bereits längst vorher existierten.

Sie sind der Bundesvorsitzende der deutschen Polizeigewerkschaft. Vertreten Sie denn mit Ihren Thesen tatsächlich auch die Mehrheit der Polizisten in Deutschland?

Wendt Ich repräsentiere 94.000 Mitglieder, deren Vorsitzender ich bin. Ich finde, das ist keine geringe Stimme.

Bei der Recherche zu Ihrer Person findet man immer wieder Beschreibungen wie "harter Hund, polternd, populistisch", zuletzt sogar "AfD-Versteher". Wie gehen Sie mit solchen Vorwürfen um?

Wendt Was die AfD angeht: Ich werde nicht müde, mich von denen abzugrenzen. Meines Wissens nach bin ich die einzige öffentliche Person, die die AfD erfolgreich verklagt hat, nachdem diese mein Bild für einen Facebook-Eintrag genutzt hatte. Das Landgericht Berlin hat das untersagt. Ansonsten: Ich bin mehr als ein Vierteljahrhundert in Duisburg Streife gefahren, da lernt man, eine klare Sprache zu sprechen. Das politische Geschwurbel liegt mir nicht. Ich möchte, dass mich jeder versteht.

DAS GESPRÄCH FÜHRTE BÄRBEL BROER

(NGZ)
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