Shakespeare-Festival 2019 in Neuss Keine Zeit für Hamlets Dialog mit dem Schädel

Neuss · Johanna-Richter-Company zeigt sechs Shakespeare-Werke als Tanzperformance. Bremer Ensemble brilliert mit „König Lear“.

 Beim ihrem Gastspiel zeigte Johanna-Richter-Company die tänzerische Bearbeitung von sechs Shakespeare-Stücken. Die wurden unter dem Titel „For you my love!“ präsentiert.

Beim ihrem Gastspiel zeigte Johanna-Richter-Company die tänzerische Bearbeitung von sechs Shakespeare-Stücken. Die wurden unter dem Titel „For you my love!“ präsentiert.

Foto: Christoph Krey

Das zweite Gastspiel der Bremer Shakespeare Company im Neusser Globe zeigte „König Lear“. Dabei bewies diese Truppe, dass sie die Dramen ihres Namensgebers souverän und mitreißend auf die Bühne bringt. Eine klug eingestrichene Textfassung in der Übersetzung von Rainer Iwersen, eine durchweg stimmige Besetzung der Figuren und eine stringente Handlungsführung machten den Besuch zu einem Erlebnis.

Erik Roßbander als altersstarrsinniger König, der für seine Gunst Liebesbeweise fordert, bestimmte zusammen mit Tobias Dürr als Narr und Kent das Geschehen. In der Parallelhandlung überzeugten Peter Lüchinger als Gloucester, sowie Markus Seuß und Tim Lee als dessen Söhne Edgar und Edmund. Außer Lear, der zu Beginn im Nachthemd erschien, am Schluss aber ein Hermelinmäntelchen trug, waren die Männer zeitlos gekleidet,  Lears Töchter (Svea Meiken Auerbach, Petra-Janina Schultz und Theresa Rose) aber ließ man mit  historisierenden Roben erscheinen.

 Die Bremer zeigten als zweites Stück „König Lear“.

Die Bremer zeigten als zweites Stück „König Lear“.

Foto: Christoph Krey

Der Regisseur Bernd Freytag gab dem Geschehen eine archaische Dominanz, indem er die Akteure wiederholt einen antiken Chor bilden ließ, ergänzt um altägyptische Prophezeiungen von einem Land in schwerer Krankheit und einem „Reich, das zu Ende gerichtet wird“. Großer Applaus für diese bildstarke Inszenierung.

Mit Jubel belohnt wurde auch das Gastspiel der Johanna-Richter-Company „For you my love!“. Fünf Performer (drei Schauspieler und zwei Tänzer) reisen in die Welt von Shakespeares Werken. Den Anfang macht, dem Titel entsprechend, „Romeo und Julia“. Ein wilder Tanz der fünf Männer beginnt. Sie sind die Montagus und Capulets, Veronas streitsüchtige Familien, die mit Händen und Füßen auf der Bühnenfläche ihr Terrain behaupten. Plötzlich, es ist ja die Liebe auf den ersten Blick, isoliert sich ein Paar und tanzt in enger Umarmung. Sofort beginnt das Unheil, seinen Lauf zu nehmen, stammen die Liebenden doch aus den verfeindeten Geschlechtern. Eine schnell verrichtete Hochzeit, eine Nacht mit Nachtigall und Lerche, köstliche Unterhaltung.

Dann aber folgt das große Sterben, mit Schwert und Gift und Gesten, wenn auch ohne Worte. „Es fängt gut an, doch am Ende sind alle tot“, so beschreibt Johanna Richter das Konzept ihrer Auswahl von sechs Shakespeare-Stücken, die im Mikrokosmos der Familie beginnen.

Vor längerer Zeit hatte sie in England „Shakespeares sämtliche Werke (leicht gekürzt)“ gesehen, ein 90-minütiges Meisterstück der Unterhaltung, das weltweit große Erfolge feierte. Als Zugabe boten die Autoren sogar „Hamlet rückwärts“. Damals nahm sich die in München lebende Choreographin vor, einen Shakespeare-Abend mit Tanz und Performance zu kreieren. Zusammen mit ihrem Ehemann, dem bekannten Schauspieler Tim Bergmann, und Saša Kekez, Búi Rouch, Moritz Ostruschnjak und Jannis Spengler fand sie die richtigen Darsteller. Vor drei Jahren konnte sie dann in der Münchner Schauburg Premiere feiern. Entstanden sind fast alle Szenen durch Improvisation. „Von sieben Probenwochen haben wir sechs nur improvisiert,“ erzählte Richter dem Publikum an der Rennbahn. Und sie versprach: „Meine Männer werden nicht durch die Reihen galoppieren.“

Das tun die Fünf auch nicht, aber sonst lassen sie nichts aus. Bei „Hamlet“ wird gesprochen, Dänisch natürlich, schließlich ist man auf Schloss Helsingor. Der zögerliche Prinz zuckt mit den Händen, sein mörderischer Onkel ruckt mit der Krone, Ophelia gluckt auf ihren Hormonen. Neben Dänisch hört man auch bayrisch, gut für kräftige Flüche, und schließlich erklärt der Geist von Hamlets Vater, was Sache ist: „My f… brother poisened me through my ear.“

Was folgt, ist klar: Totschlag bis zum Ende. Der geht so flott über die Bühne, dass Hamlet keine Zeit für eine Aussprache mit Yoricks Schädel bleibt. Aber man weiß ja: „Der Rest ist Schweigen.“ Außerdem drängt die Zeit, es gilt noch König Lear, Othello, Macbeth und Richard III. zu „performen“. Der Mohr von Venedig fällt Jago zum Opfer, weil der eine schwierige Kindheit hatte. Der hemdsärmelige Macbeth stößt in dichtem Nebel auf seine hemdsärmeligen Feinde. Alle sterben. Ähnlich ergeht es dem buckligen Richard. Eine todsichere Empfehlung.

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