Neuss Shakespeare à la France

Neuss · Zwei Inszenierungen aus Frankreich wurden beim Shakespeare-Festival im Globe gezeigt. Und beide widmen sich großen Stücken: dem Königsdrama "Richard III." und der Liebestragödie "Romeo und Julia".

 Einer der größen Bösewichte der Theaterliteratur kommt eher skurril und witzig daher: der verdreifachte König Richard von Regisseur Dan Jemmett.

Einer der größen Bösewichte der Theaterliteratur kommt eher skurril und witzig daher: der verdreifachte König Richard von Regisseur Dan Jemmett.

Foto: Pro Classics

Die Toten in Shakespeares Drama "Richard III." kann man kaum mitzählen. Auf seinem Weg zum englischen Thron meuchelt er so viele, dass man schon mal den Überblick verlieren kann. Als Herzog von Gloster gestartet und König Richard endend, scheint er die Inkarnation des machthungrigen Bösen zu sein. Und wuchs so auch zu einem der größten Charaktere in Shakespeares Werk, den sich mancher Schauspieler als Rolle seines Lebens wünscht.

 Der Funke ist übergesprungen: Romeo (l.) und Julia begegnen sich zum ersten Mal auf dem Maskenball.

Der Funke ist übergesprungen: Romeo (l.) und Julia begegnen sich zum ersten Mal auf dem Maskenball.

Foto: Pro Classics

Dan Jemmett gibt gleich dreien die Traumrolle an die Hand. Für seine Inszenierung mit der eigenen Compagnie des Petites Heures hat er Richard gleich verdreifacht und gleichzeitig seine Ungeheuerlichkeit reduziert. Mit Krachern wie dem Rocksong "Highway to Hell" und Swingsound wie "My Boy Lollipop" angereichert, in einem Bühnenbild, dessen Enge und Schäbigkeit durchaus Richards Gefühlsleben spiegelt, mit drei Schauspielern, die es fertigbringen, individuell ein und dieselbe Figur zu spielen, rückt Jemmett dieses eigentlich vor Blut triefende Drama in die Nähe des Absurden. In der Verdreifachung gibt es immer einen Richard, der neben sich steht, sich reden hört und handeln sieht — und über sich selbst erstaunt ist.

So manches gibt Jemmett der Lächerlichkeit preis, schafft Szenen, in denen blutige Klamotten in einer Waschmaschine rumpeln; spielt das Spiel mit der falschen Tür, hinter der keiner steht; und schickt seine drei Richards zum Schluss zum wohl berühmtesten Zitat "Ein Pferd, ein Pferd, mein Königreich für ein Pferd!" auf verzweifelte Suche ins Publikum. Das hat seinen großen Spaß an diesem ganz und gar undramatischen, dafür aber gespielt-melodramatischen Bösewicht, der sich selbst noch beim Freitod im Wege steht. Die Drei gehen einander nämlich an die Gurgel — ohne Erfolg natürlich.

Auch die zweite französische Inszenierung beim Shakespeare-Festival ist ein Klassiker: "Romeo und Julia" — nur dass Julia in diesem Fall ein Jules ist. Na ja, nicht nur. Die Compagnie Magnus Casalibus spielt die Geschichte des Veroneser Liebespaars aus den verfeindeten Häusern Capulet und Montague schon so, wie Shakespeare sie geschrieben hat. Aber die Hauptrollen werden von zwei Männern gespielt — was im Shakespeare'schen Globe einst normal war, heute aber eine zweite Ebene einzieht.

Auch in der konzentrierten Fassung von Regisseurin Vincainne Regattieri dürfen sich Romeo und Julia nicht lieben, aber eben als Romeo und Jules (in den Augen vieler) auch nicht. Wie Regieteam und ihre Schauspieler mit dieser Zweideutigkeit umgehen, ist einfach nur beeindruckend. Das Kostümdesign (Monika Regattieri) mit den zitatenhaften Andeutungen an eine Travestieshow, die simple Bühne mit Garderobenständern und großen Bühnenkoffern, die gesungenen wie vom Band eingespielten Balladen und Rocksongs und das Spiel des sechsköpfigen Ensembles sind exakt aufeinander abgestimmt, regelrecht choreographiert. Mal spielen Guillaume Caubel (Romeo) und Vincent Heden (Julia) so, dass man gar nicht merkt, dass Julia ein Mann ist — so pur, so intensiv ist das Gefühl, dass die beiden aneinanderbindet. Mal rücken winzige Veränderungen — oft nur atmosphärischer Art — die Geschlechtergleichheit in den Fokus. Und dennoch bleibt die Inszenierung jederzeit in der Spur. Immer geht es um die Macht der Liebe, die ungeahnte Kräfte verleiht, wenn sie sich gegen die Umwelt durchsetzen muss. Sei es bis in den Tod.

Und weil auch die komischen Elemente des Stücks genussvoll ausgereizt werden, ist dieser Theaterabend in jeder Minute in der perfekten Balance. Helga Bittner

(NGZ/url)
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