Neuss Sehenswürdigkeiten zum Fühlen

Neuss · 90 Jahre Blindenverein Neuss: Vom begehbaren Auge bis zur ertastbaren Kunst bietet der Verein zu seinem Jahrestagim Kreishaus Sehenden wie Blinden viele Möglichkeiten, sich in seine Mitmenschen hineinzuversetzen.

Neuss: Sehenswürdigkeiten zum Fühlen
Foto: Sehbehinderten - und Blindenverein für den Rhein-Kreis Neuss

Sie müssen Bücher lesen, ohne einen einzigen Buchstaben zu sehen; der Weg über die Straße ist für sie zunächst ein kleines Abenteuer, und manche wünschen sich mehr Unterstützung im Alltag: Menschen, die wenig oder gar nichts sehen, haben oft die gleichen drängenden Fragen. Seit 90 Jahren unterstützt nun der Sehbehinderten- und Blindenverein für den Rhein-Kreis Neuss (SBV) diese Menschen und alle, die sie in ihrem Alltag begleiten. Rund 130 Mitglieder zählt der Verein inzwischen. Zur Jubiläumsfeier am Samstag, 24. September, zeigt der SBV mit einem Vortrag des Augenfacharztes Dr. Tobias Reipen, was wichtig ist, wenn die Augen schwächer werden. Die Veranstaltung findet von 10 bis 17 Uhr im Kreishaus, Oberstraße 91, statt. Einer der aufsehenerregendsten Programmpunkte wird vermutlich ein 2,30 Meter hohes Augenmodell sein, das die Besucher selbst betreten können.

Für Literaturinteressierte stellt Werner Kahle die Idee einer Blindenhörbücherei vor. Aber auch die konkrete Hilfe für Blinde im Alltag soll am Samstag Thema sein. So erläutert etwa Maria Ritz, die eine Beratungsfirma für Blinde führt, wie Betroffene Hilfsmittel richtig beantragen können und worauf sie in der Begründung zu achten haben. Die Kommunikations-Designerin Susanne Lechner stellt für den SBV Kunstwerke aus, die darauf ausgelegt sind, nicht angesehen, sondern angefasst zu werden. Für die Gäste gibt es Kleinigkeiten zum Essen und Kaffee.

So aufwendig die Mitglieder die Jubiläumsfeier für den kommenden Samstag gestaltet haben - den größte Teil der Vereinsarbeit bildet aber die alltägliche Unterstützung blinder und sehbehinderter Menschen. So bieten Vereinsmitglieder am Telefon eine kostenlose und ehrenamtliche Beratung von Betroffenen für Betroffene an. Wer sich an den Verein wendet, bekommt so etwa Tipps, wo er an Hilfsmittel kommt und wie er einen Nachteilsausgleich beantragen kann.

Im Erasmus-Gymnasium Grevenbroich machte die stellvertretende Vorsitzende Mirijam Bank Schüler spielerisch damit vertraut, wie es ist, wenn man nicht mehr richtig sehen kann. Im Arbeitskreis "Runder Tisch Neuss" vertreten Vereinsmitglieder etwa in der Planung neuer Bushaltestellen die Interessen von Blinden und Sehbehinderten. Um zu testen, wie behindertengerecht die neuen Stadtbusse sind, absolvierte der Verein kürzlich eine Sonderfahrt mit einem neuen Busmodell (die NGZ berichtete).

Der Verein wurde mitten in den 1920er Jahren gegründet - zu einer Zeit, als die Interessen behinderter Menschen noch lange nicht so berücksichtigt wurden, wie es heute der Fall ist. Von einer Debatte darüber, wie die Inklusion Behinderter in das gesellschaftliche Alltagsleben gelingen kann, war man damals noch weit entfernt. Stück für Stück erweiterten die Mitglieder des SBV den Kreis derer, für die sie da sein wollten. So werden ab dem Jahr 2000 auch Sehbehinderte mit einem Sehrest von bis zu 30 Prozent betreut. 2012 beschlossen die Mitglieder, auch Menschen zu helfen, die unter einer Augenerkrankung leiden und von Blindheit bedroht sind.

Doch um diese unterschiedlichsten Aufgaben zu stemmen, braucht der Verein weiterhin genug Mitstreiter. Vielleicht finden sich ja Samstag zwischen Kaffeetrinken und Fachvorträgen ein paar neue Helfer.

(NGZ)
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