Neuss Schüler gestalten Pogrom-Gedenkfeier

Neuss · Demonstrationen mit antisemitischem Hintergrund, Überfälle auf Menschen jüdischen Glaubens - beim Gedenken an die Opfer der jüdischen Bevölkerung in Neuss appellierten die Redner gestern an die Verantwortung des Einzelnen.

 Jahr für Jahr nehmen mehr Neusser an der Gedenkfeier zur Pogromnacht 1938 teil. Diesmal gestalteten Schüler der Janusz-Korczak-Gesamtschule die Veranstaltung, der Schüler-Eltern-Lehrer-Chor sang jüdische Weisen.

Jahr für Jahr nehmen mehr Neusser an der Gedenkfeier zur Pogromnacht 1938 teil. Diesmal gestalteten Schüler der Janusz-Korczak-Gesamtschule die Veranstaltung, der Schüler-Eltern-Lehrer-Chor sang jüdische Weisen.

Foto: L. Hammer

Das Erinnern an das Judenpogrom 1938 - für zahlreiche Neusser ist es offenbar mehr als eine alljährliche Pflichtveranstaltung. Der kleine Park rund um den Gedenkstein der ehemaligen Synagoge am Zolltor fasste gestern kaum die Zuhörer, unter denen die Schüler der Janusz-Korczak-Gesamtschule besonders stark vertreten waren und das Geschehen mit großem Ernst verfolgten. In diesem Jahr hatten sie die Gedenkveranstaltung zudem gestaltet. "Für Themen wie Rassismus und Antisemitismus sollte man sich interessieren, denn sie gehen alle an", findet Schülerin Dilan Karakus, die gemeinsam mit anderen einige bewegende Zeitzeugendokumente in szenischen Lesungen vortrug. Sie alle hatten sich freiwillig für diese Aufgabe gemeldet. "Leider ist Rassismus sehr aktuell, wenn man etwa die Geschehnisse in Köln sieht, wo sich Hooligans und Neonazis zusammengeschlossen hatten", bedauert Dilans Mitschüler Florian Haubner. Beide empfinden die Auseinandersetzung mit konkreten Schicksalen über die Texte als Bereicherung. "Was damals geschehen ist, wird realer, wenn man sich damit befasst", sind sie sich einig.

 Bürgermeister Herbert Napp (links) und Bert Römgens appellierten an die Zuhörer, Verantwortung zu übernehmen.

Bürgermeister Herbert Napp (links) und Bert Römgens appellierten an die Zuhörer, Verantwortung zu übernehmen.

Foto: Hammer, Linda (lh)

Bürgermeister Herbert Napp hatte zu Beginn des Gedenkens an die Nacht jenes 9. Novembers 1938 erinnert, "die Angst, Verfolgung und Tod für die Menschen jüdischen Glaubens in Deutschland mit sich brachte". Auch damals habe es aufrechte Menschen in Deutschland gegeben, die für die jüdischen Mitbürger eingetreten seien, "aber die große Masse schwieg", stellte Napp klar und zog dann Parallelen zur Gegenwart. "Leider gibt es auch heute Ausländerfeindlichkeit und Antisemitismus in unserem Land. Die zunehmenden radikalen Tendenzen bereiten mir Sorge", gestand er und fragte: "Wird Deutschland zu einem Land, in dem religiöse Minderheiten und Menschen mit Migrationshintergrund um ihre Sicherheit fürchten müssen? Und: Was können wir dagegen tun?" Seine Antwort: "Seien wir wachsam, wenn in unserer unmittelbaren Umgebung Menschen wegen ihres Glaubens oder ihrer Herkunft ausgegrenzt werden!"

Eindringliche Worte fand auch Bert Römgens von der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf. Er wuchs in Neuss auf, lebt gern hier, "ich bin so wie die meisten hier. Fast. Aber es gibt einen kleinen wesentlichen Unterschied: Ich bin Jude." Als solcher fühle er sich "als wertgeschätzter Teil meines sozialen Netzwerkes", versicherte er. "Wenn wir allerdings auf diesen Sommer zurückschauen, wenn wir sehen wie viele Demonstrationen in Deutschland stattgefunden haben, die einen eindeutig antisemitischen Hintergrund hatten, wenn wir sehen, dass wieder Synagogen angegriffen werden, wenn wir sehen, dass wieder jüdische Menschen bedroht werden, dann haben wir nichts gelernt." Jeder Einzelne stehe in der Verantwortung, "dass Antisemitismus, Rassismus, dass Ausgrenzung von Menschen wegen ihrer Rasse, ihrer Herkunft, ihrer Religion, ihrer politischen Ansichten und ihrer sexuellen Orientierung in Deutschland und auf der ganzen Welt nie wieder vorkommen darf." Umrahmt von jüdischen Weisen, die der Schüler-Eltern-Lehrer-Chor der Gesamtschule unter Leitung von Bernd Herholz anstimmte, trug Dechant Hans-Günther Korr Psalm 130 vor, bevor Rabbiner Vladyslav Kaplan das "El Male Rachamim" zum Gedenken an die als Märtyrer Umgekommenen sprach.

(NGZ)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort