Neuss Reise durch den Neusser Sitzungskarneval

Neuss · Am Samstag hatten jecke Neusser die Qual der Wahl: Gleich fünf närrische Sitzungen lockten zur gleichen Zeit in die verschiedenen Stadtteile. Wo herrschte Stimmung? Wie gut war die Resonanz? Und: Machen sich die Veranstaltungen gegenseitig Konkurrenz?

 Die KG „Müllekolk“ feierte im Thomas-Morus-Haus.

Die KG „Müllekolk“ feierte im Thomas-Morus-Haus.

Foto: Woitschützke, Andreas (woi)

Nur 91 Tage dauert die aktuelle Karnevals-Session. Und so finden allein in Neuss an einem Samstag gleich fünf Sitzungen gleichzeitig statt. Gelegenheit für eine kleine Reise durch den Neusser Sitzungskarneval. Wie wird wo gefeiert? Und: Nehmen sich die vielen Sitzungen gegenseitig die Gäste weg?

 Gefiel im Reuterhof: Eva-Maria Olszewski.

Gefiel im Reuterhof: Eva-Maria Olszewski.

Foto: Woitschützke, Andreas (woi)

Los geht's im Thomas-Morus-Haus in der Nordstadt. Hier feiert die Weckhovener KG Müllekolk ihre Kostümsitzung. Einmarsch ist um 19.11 Uhr - eine Stunde früher als in den Vorjahren. So können die Gäste in der Nacht noch den letzten Bus nach Weckhoven erwischen. Den Müllekolkern setzt die Konkurrenz nicht zu. Über 200 zahlende Gäste sind im prall gefüllten Saal. "Die Sitzung ist ausverkauft", sagt Pressesprecher Rainer Schmitz zufrieden.

Drinnen gehen gerade die Glamour Girls nach ihrem Tanz von der Bühne. Sitzungspräsident Reiner Franzen begrüßt "Ne Kistdüvel". Die begeistert das Publikum mit Witzen über ihren Mann Herbert. Etwa über dessen Bauchumfang: "Der Herbert trägt mittlerweile eine Waschtonne mit sich rum. Leider ist der Abwasserschlauch sehr kurz." Das kommt an. Clowns, Bienen und Matrosen im Publikum halten sich die Bäuche vor lachen. Die Stimmung ist ausgelassen. Das Prinzenpaar kommt erst noch. Raus aus dem Saal. Auf zum Further Abend.

Weit ist es nicht bis zum Festzelt der St.-Sebastianus-Schützenbruderschaft. Die hat für den Patronatstag am Sonntag ein Zelt aufgebaut. Wenn das schon steht, kann es ja am Vorabend genutzt werden - so der Gedanke. "Wir wollen ein Angebot nicht nur für Schützen machen", sagt Torsten Klein, Pressesprecher der Bruderschaft. Da biete sich der Karneval an. Zum Auftakt kommt daher immer das Prinzenpaar. Jetzt sind Marco I. und seine Novesia Sabine allerdings schon wieder weg. Gerade steht das Herrenballett der KG Altstädter auf der Bühne. Blaue Tutus, behaarte Männerbeine und mangelnde Synchronität machen den Reiz dieser Nummer aus. Auch wenn alles karnevalistisch gehalten ist: Verkleidet ist hier kaum ein Gast. Das Schützenfest-Ambiente schwingt doch immer mit. Überhaupt ist das für 350 Gäste bestuhlte Zelt nur halb voll. Im Nebenzelt hat sich eine Menschentraube am Tresen gebildet. "Es ist nicht ganz so voll wie sonst", sagt Torsten Klein. Den Grund sieht er tatsächlich in der "Turbo-Session" und den vielen parallelen Sitzungen. Unzufrieden ist er aber nicht. Der Further Abend sei nun mal an den Patronatstag gebunden. Die nächste Sitzung ruft.

Auf geht's nach Reuschenberg zur katholischen Frauengemeinschaft (kfd) St. Elisabeth. Heute dürfen da noch Männer mitkommen, am Sonntag gibt es die traditionelle Frauensitzung. Auch hier ist es rappelvoll. "Wir sind immer schon im September ausverkauft", sagt Jeanette Langen, Vorstandsmitglied der kfd. Insofern sind die parallelen Sitzungen für die kfd kein Problem. Vor der Tür unterhalten sich Pippi Langstrumpf und Julius Cäsar über die Tanzmäuse der Tanzgarde Blau-Gold Kaarst. "Die Kleinen waren ja süß", schwärmen beide. Drinnen legt DJ Jost Stupp auf. "Komm jetzt schunkel mit mir. Und irgendwann so mit de Zick sind wir verliebt", trällert es aus den Boxen. In den vorderen Reihen schunkeln einige Paare beseelt. Das bunte Bühnenbild mit Clowns und vielen Luftballons unter der Decke sorgt für jeckes Ambiente. Zu einem Treffen mit dem Prinzenpaar kommt es auch hier nicht: Prinz und Novesia waren schon da.

Nächste Station: In der Aula von Real- und Sekundarschule Norf feiert der Norfer Narrenclub. 280 Gäste sind gekommen - ausverkauft bis auf den letzten Platz. "Wir bieten den Norfern eine Sitzung nahe dem eigenen Wohnzimmer", sagt die Vorsitzende Iris Gummersbach. Drinnen im Saal ist alles gelb, rot und blau geschmückt. Das Duo Paletti ist gerade mit seiner Zugabe fertig. Das Publikum dankt mit einem dreifachen "Ons Norf Helau". In der letzten Reihe bewerfen sich zwei Gäste mit einem Knäuel aus Luftschlangen-Deko. Dann kommt mit Mara Mangen die Solo-Tänzerin der Tanzteufel auf die Bühne. Zum Einmarsch ertönt Roland Kaisers "Joana". Allerdings in der Version von Peter Wackel. Das Publikum grölt mit. "Du geile Sau". "Du Luder". Zum Tanz von Mara Mangen stehen dann alle auf und klatschen mit. Das Eigengewächs begeistert. Auf dem Weg nach Grimlinghausen doch noch eine kurze Begegnung mit dem Prinzenpaar - im Auto auf der Nievenheimer Straße. Mit viel Pech ist es tatsächlich möglich, vier Karnevalssitzungen zu besuchen, ohne Prinz und Novesia zu treffen.

Letzter Halt: Reuterhof. Beim Dorfabend des Heimatvereins steht mit Eva-Maria Olszewski gerade eine der besten Neusser Büttenrednerinnen auf der Bühne. Ihr Thema: die Bürgermeisterwahl. "Dreiveedels vom Joh, wat wo et e Jedöns, ne Wahlkampf, Grand Senior jejen Jong Jemös", dichtet Olszewski, die noch verhalten gegen Reiner Breuer rekelt. Der sitzt mit Frau Ute im Publikum. Beide sehen die Sitzung, die an diesem Abend die meisten Eigengewächse zu bieten hat. Was definitiv nicht auf Kosten der Qualität geht. Eher im Gegenteil. Neben Olszewski sind da etwa die Erftperlen, die den Saal mittels Knicklichtern zu Anna-Maria Zimmermanns Lied "100.000 leuchtende Sterne" in einen Sternenhimmel verwandeln.

Christiane Pütz und Andreas Grob, das Hippelanger Bure-Duett, foppen sich in bestem Platt. Überhaupt sagt man hier weder Helau noch Alaaf, sondern: "Hippe Hippe - Mäh Mäh Mäh". Auch der Dorfabend ist eine fröhliche Veranstaltung, bei der die Gäste abschalten, lachen, singen und tanzen. Nicht mehr und nicht weniger soll Karneval bieten. Bemerkenswert: Immer weniger Ehrenamtler schaffen es, solche Abende zu organisieren. Allerdings müssen sie dabei immer mehr auf eingekaufte Profis zurückgreifen. Wichtigste Erkenntnis: Selbst fünf Sitzungen an einem Abend nehmen sich kaum Gäste weg. Der Karneval in Neuss ist quicklebendig.

(NGZ)
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