Neuss Raubkunst im Sels-Museum

Neuss · Eine New Yorker Anwaltskanzlei erhebt den Rückgabeanspruch für ein Gemälde von Joachim Ringelnatz, das das Clemens-Sels-Museum 1974 gekauft hat. Es gehörte dem jüdischen Sammler Paul Westheim.

 Das Streitobjekt: "Makabre Szene" ("Dachgarten der Irrsinnigen") von Joachim Ringelnatz entstand 1925.

Das Streitobjekt: "Makabre Szene" ("Dachgarten der Irrsinnigen") von Joachim Ringelnatz entstand 1925.

Foto: CSM/ Katalog, Göttingen 2000

Gelegentlich hing es in der Dauerausstellung mit der Kunst der Naiven oder wurde, wenn es thematisch passte, in kleineren Schauen gezeigt. Die meiste Zeit aber schlummerte das Ölgemälde "Makabre Szene (Dachgarten der Irrsinnigen)" des Dichters Joachim Ringelnatz im Depot des Clemens-Sels-Museums. Erst als das 1925 entstandene Bild vor gut zehn Jahren nach Göttingen ausgeliehen und dort in einer Ausstellung an der Uni gezeigt wurde, kam der Stein ins Rollen. Das Bild des Künstlers, von Irmgard Feldhaus für die Neusser Sammlung 1974 in der Düsseldorfer Galerie Vömel erworben, stammt aus dem Besitz des jüdischen, 1963 gestorbenen Kunstkritikers und Sammlers Paul Westheim, der in Frankreich von den Nazis interniert wurde.

Über eine New Yorker Kanzlei erhob eine Erbin vor zwei Jahren Rückgabeansprüche. Die Anwälte hatten zunächst den Göttinger Experten Professor Frank Möbus von der Arbeitsstelle zur Ermittlung von nationalsozialistischem Raub- und Beutegut angeschrieben, der die Ringelnatz-Ausstellung auch initiiert hatte. Möbus suchte unter anderem auch über das Lost-Art-Register, einer internationalen Datenbank für geraubtes oder verschollenes Kulturgut, in der das Bild als gesucht geführt wurde (und immer noch wird), nach Dokumenten, die die Geschichte des Bildes bis zum Kauf durch das Neusser Museum belegen. "Es war nichts zu finden, und es gibt auch heute noch keine konkreten Unterlagen", sagt er gegenüber der NGZ.

Große Zweifel hat er nur an der Geschichte, wie sie laut der Neusser Kulturdezernentin Christiane Zangs durch "die Korrespondenzen mit der New Yorker Kanzlei und der Galerie Vömel" recherchiert wurde. Demnach hatte Charlotte Weidler, eine Freundin von Westheim, der er seine expressionistische Sammlung vor seiner Flucht vor den Nazis zur Aufbewahrung gegeben hatte, den Kontakt zum Freund nach dem Krieg abgebrochen. Nach Westheims Tod hat sie Werke aus der Sammlung — unter anderem auch von Otto Dix und George Grosz — gezielt verkauft. Das Ringelnatz-Gemälde soll sie 1972 an die Galerie Vömel verkauft haben. "Diese Erwerbsgeschichte ist durch nichts belegt", sagt Möbus, "genauso gut könnte das Werk auch illegal erworben worden sein."

Welchen Wert das Ringelnatz-Gemälde heute hat, lässt sich nach Aussage der Kunsthistorikerin Friederike Schmidt-Möbus, die auch das Joachim-Ringelnatz-Museum in Cuxhaven wissenschaftlich betreut, nur schwer sagen: "Seine Bilder liegen heute zwischen 20 000 und 40 000 Euro, weil sie oft von Liebhabern gekauft werden." Sie hält die "Makabre Szene" für ein wichtiges und typisches Bild des Künstlers: "Er hat sich damals intensiv mit Geistes- und Seelenkrankheiten beschäftigt und das malerisch verarbeitet." Dass er ihm wichtige und erste Themen "auf eine pseudonaive und anekdotische Art" auch malte, sei typisch für Ringelnatz gewesen. Ihren Recherchen nach sind zurzeit etwa 300 Bilder von Ringelnatz bekannt, aber sie vermutet, dass es auch deutlich mehr sein könnten.

Ob die "Makabre Szene" — den Titel bekam das Bild übrigens nicht von Ringelnatz, denn er titelte selten oder überließ es seinen Galeristen —, in Neuss bleibt, hängt auch vom Ausgang der Prüfung der Bundeskommission für Fragen der Restitution ab. Juristisch gesehen ist dem Museum auch aus Sicht von Möbus nichts vorzuwerfen, aber weil die Sache auch eine moralische Seite hat, wurde in nicht-öffentlicher Sitzung vom Kulturausschuss entschieden, den Erben-Antrag an die Kommission weiterzuleiten. Angenommen wird der Prüfungsauftrag allerdings nach Auskunft von Christiane Zangs nur, wenn beide Seiten sich bereiterklären, das Urteil zu akzeptieren. Für die Neusser Kulturpolitiker ist das keine Frage, die Zusage der Erbin aber steht noch aus.

Laut Möbus sind die Chancen gut, dass die Kommission gegen die Rückgabe entscheidet: "Das hat man auch in anderen Fällen, in denen es keine zuverlässigen Unterlagen gab, so gehandhabt."

(NGZ)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort