Ärztin aus Neuss schlägt Alarm Therapie-Influencer auf TikTok sind ein problematischer Trend

Neuss · Auf TikTok gehen derzeit simplifizierende Videos zu psychischen Erkrankungen viral. Eine Neusser Kinder- und Jugendpsychologin schlägt Alarm – aus diversen Gründen.

Die App wird von vielen Kindern und Jugendlichen genutzt. Ihnen werden simplifizierende Videos zu psychischen Erkrankungen angezeigt.

Die App wird von vielen Kindern und Jugendlichen genutzt. Ihnen werden simplifizierende Videos zu psychischen Erkrankungen angezeigt.

Foto: dpa/Marijan Murat

Es sind Videos, die beginnen mit: „So erkennst du ADHS in zehn Sekunden“ oder mit „Genau das kann passieren, wenn du eine Borderline-Störung hast“. Teilweise erhalten sie zehntausende oder sogar hunderttausende Likes. Inhalte wie solche gehen derzeit auf der Social-Media-App TikTok viral. Claudia Neumann, leitende Oberärztin der Ambulanz für Kinder- und Jugendpsychiatrie des Alexius/Josef Krankenhauses, erachtet den Trend als sehr besorgniserregend.

Auf die Problematik verwies auch eine im „Canadian Journal of Psychiatry“ veröffentlichte Studie, die die 100 bekanntesten TikTok-Videos zu der Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Störung (kurz: ADHS) untersuchte. Die Forscher stellten fest, dass mehr als die Hälfte der Videos Fehlinformationen enthielten. Auch Neumann findet: „Wenn TikToker über psychische Erkrankungen wie ADHS oder Borderline berichten, als hätten sie ein absolutes Wissen darüber, so ist dies meiner Meinung nach hochproblematisch.“

Denn hierbei handele es sich um hochkomplexe Erkrankungen (auf der App werden ebenso Krankheitsbilder wie Depressionen oder Angsststörungen dargestellt), die individuell ausgeprägt sind und sich nicht auf ein paar Kernsätze reduzieren lassen. „Ich halte es für sehr problematisch, über TikTok allgemeine Diagnosen zu psychischen Erkrankungen zu stellen“, findet Neumann.

Ebenfalls könne es aufgrund des Algorithmus‘ der App zu besorgniserregenden Entwicklungen kommen, so die Ärztin. „Den Betroffenen werden nur noch verstärkt Inhalte angezeigt, die sich um den Themenkomplex drehen. Dies kann im schlimmsten Falle dazu führen, dass die entsprechenden Symptome nur noch stärker in den Vordergrund treten.“

Neumann räumt allerdings auch ein, dass die Videos zu einer Entstigmatisierung von psychischen Erkrankungen beitragen können, was die Ärztin befürwortet. Kinder und Jugendliche treten über die App potenziell erstmalig mit psychischen Erkrankungen in Kontakt. Simplifizierende Videos ersetzen allerdings keinen Psychologen.

Das Problem: Aufgrund des Versorgungsschlüssels gibt es im Rhein-Kreis Neuss jedoch auch keine stationären Therapieplätze für Kinder und Jugendliche. Hier benötige es Nachholbedarf, findet das Alexius/Josefs Krankenhaus.

Neumann empfiehlt Menschen, die sich über TikTok zu den Krankheitsbildern informieren, vielmehr den direkten Austausch zu Eltern, Verwandten und Freunden zu suchen. „Ich bin darüber hinaus dafür, dass mehr niederschwellige Angebote im realen Leben gemacht werden. Dass beispielsweise an Schulen, wenn diese daran Interesse haben, gezielt zu bestimmten psychischen Krankheitsbildern informiert wird“, so die Neusser Ärztin.

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