Prozess um getöteten Elfjährigen in Neuss Sven F. widerruft sein Geständnis

Neuss/Düsseldorf · Ein Neusser steht vor Gericht, weil er seinen Neffen getötet haben soll. Die Tat hatte er gestanden. Nun beschuldigt Sven F. seine Ehefrau.

 Sven F. sitzt im Landgericht und verdeckt sein Gesicht mit einem Aktenordner.

Sven F. sitzt im Landgericht und verdeckt sein Gesicht mit einem Aktenordner.

Foto: dpa/Federico Gambarini

Spektakuläre Wende im Prozess um Sven F.: Der Neusser, dem die Staatsanwaltschaft Düsseldorf vorwirft, seinen elf Jahre alten Neffen Jörg im Oktober 2017 getötet zu haben, hat am Freitag sein Geständnis widerrufen. Zum Prozessauftakt hatte der Angeklagte noch von seiner Pflichtverteidigerin Dagmar Loosen eine Einlassung verlesen lassen, in der er gestand, für die schweren Verletzungen des Jungen verantwortlich zu sein. Am Freitag gab er plötzlich an, dass er seine Ehefrau decke, die eigentlich für die tödlichen Verletzungen des Jungen verantwortlich sei. „Wer war es?“, fragte die Mutter des toten Jungen, Nebenklägerin Natascha Funke, zuvor unter Tränen in Richtung ihres Bruders.

Neue Geschichte des Angeklagten

Den Schilderungen des Angeklagten zufolge habe er an jenem Tag mit Kopfhörern am Computer gesessen. Plötzlich sei er von seiner Ehefrau angetippt worden. Sie soll gesagt haben, dass sie die Tür zum Badezimmer nicht öffnen kann. Als Sven F. sich Zugang zum Bad verschaffte, habe er den leblosen Jungen in der Wanne vorgefunden, mit der Reanimation begonnen und den Notruf gewählt. Erst abends habe er seine Frau zur Rede gestellt, die daraufhin gesagt habe, dass sie die Verletzungen des Jungen zu verantworten habe. Über ein mögliches Motiv herrscht noch Rätselraten. Der Prozess wird am kommenden Mittwoch fortgesetzt.

Bereits am vierten Prozesstag änderte sich die Sachlage, als Dagmar Loosen die Entpflichtung als Pflichtverteidigerin beantragte. Als Grund führte die Anwältin unter anderem Zeugenaussagen auf, aus denen hervorgeht, dass der Neusser die Tat nicht begangen habe, sondern er mit seinem Geständnis ein Familienmitglied schütze. Weitere Faktoren für ihre Entscheidung konnte sie aufgrund ihrer Schweigepflicht nicht mitteilen. Einer dieser Zeugen wurde am Freitag angehört. Dabei handelte es sich um einen Mithäftling aus der Justizvollzugsanstalt Duisburg-Hamborn, der Einblicke in das Haftleben mit dem Neusser schilderte. Man habe sich am Anfang gut verstanden, sich über Schützenwesen und Karneval unterhalten. Die Tat sei zunächst nicht thematisiert worden. Das habe sich jedoch im Laufe der Zeit geändert.

Das erzählte Sven F. einem Mithäftling

Gleich zwei unterschiedliche Versionen zu den Tatvorwürfen soll der Neusser ihm gegenüber angegeben haben. „Am Anfang hat er behauptet, er sei in Untersuchungshaft wegen unterlassener Hilfeleistung, weil er die Reanimation des Jungen zu spät begonnen habe“, so der Mithäftling. Wie es zu den Verletzungen des Jungen kommen konnte, habe Sven F. sich nicht erklären können. „Er sagte, er habe den Jungen leblos in der Badewanne gefunden, als er nach Hause kam“. In der JVA pflegten der Zeuge und der Neusser zunächst eine Art Vertrauensverhältnis, sie besuchten sich beim sogenannten Umschließen gegenseitig in ihren Zellen. „Irgendwann begann er aber, sich tierisch aufzuspielen“, sagte der Mithäftling. So habe Sven F. unter anderem geprahlt, wie viele Freundinnen er habe. Auch eine 20.000 Euro teure Rolex-Uhr soll er laut des Zeugen erwähnt haben. Im Laufe der Zeit soll der Neusser dann eine andere Version der Geschehnisse erzählt haben: Diesmal habe Sven F. angegeben, nur einen Sohn schützen zu wollen, der aus einer früheren Beziehung stammt. Der Angeklagte habe ihm auch erzählt, dass jener Sohn Dagmar Loosen aufgesucht habe, um mitzuteilen, dass er die Tat begangen habe.

So lautet die zweite Version, die der Angeklagte seinem Mithäftling gegenüber angegeben haben soll: Sven F. kommt am 5. Oktober mittags nach Hause, nachdem er „einige Besorgungen“ machte. Er trifft auf seinen Sohn, der eigentlich nicht bei ihm wohnt. Dieser sitzt zusammengekauert auf dem Sofa und sagt: „Schau mal ins Badezimmer“. Dort findet Sven F. den leblosen Jörg und beginnt mit der Reanimation, ehe er den Notruf wählt. „Danach soll der Sohn geflohen sein“, so der Mithäftling. Sven F. habe ihm erzählt, dass er seinen Sohn am nächsten Tag in einem Imbiss wieder getroffen habe. Dieser habe ihm gesagt, dass er Jörg aus Wut verprügelt habe. „Für mich stand im Laufe der Zeit fest, dass diese Version eine Schutzbehauptung ist“, so der Mithäftling, der sich zunächst gut mit Sven F. verstand, ihn mittlerweile aber als „egozentrische Person“ beschreibt.

Zum Hintergrund: Mit schwersten Verletzungen musste Jörg am 5. Oktober 2017 in der Weckhovener Wohnung seines Onkels von Rettungskräften reanimiert werden. Dort lebte der Schüler rund zehn Wochen, bis es zu dem Vorfall kam. Jörg kämpfte bis zuletzt um sein Leben, am 17. Oktober wurden die lebenserhaltenden Maschinen in der Düsseldorfer Uniklinik aber abgeschaltet.

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