Flieder-Haus in Neuss Wie Senioren Biographien zu Kunst machen

Gnadental · Ein Internet-Blog dokumentiert ein Kunstprojekt im Fliedner-Haus, das mit der Ausstellung „So bin ich – mein Bild von mir“ abgeschlossen wird. Sechs Bewohner des Pflegeheimes dürcken ihre Lebensgeschichte in einem Bild aus.

 Im Pflegeheim an der Gnadentaler Allee hat Kay Strathus (r.) Bewohner dazu gebracht, ihr Leben künstlerisch aufzuarbeiten.

Im Pflegeheim an der Gnadentaler Allee hat Kay Strathus (r.) Bewohner dazu gebracht, ihr Leben künstlerisch aufzuarbeiten.

Foto: Bärbel Broer

Es ist ein ungewöhnliches Kunst-Projekt, das in den vergangenen fünf Monaten im Wohn- und Begegnungszentrum Fliedner-Haus in Gnadental stattgefunden hat. Unter dem Motto „So bin ich – Mein Bild von mir“ haben sechs Bewohner des Senioren- und Pflegeheims an einem kunstgeragogischen Projekt teilgenommen und nach zahlreichen biographischen Einzelgesprächen Selbstportraits erstellt. Wie aussagekräftig nicht nur die Bilder sind, sondern vor allem die verschiedenen Lebensgeschichten, davon können sich die Besucher zur Ausstellungseröffnung am Donnerstag, 27. Juni, überzeugen.

Kay Strathus hat die drei Frauen und Männer fünf Monate lang während des Projekts eng begleitet. Er ist gelernter Grafiker und arbeitet  im Sozialen Dienst des Fliedner-Hauses mit. Zudem hat er eine Weiterbildung als Kunstgeragoge abgeschlossen. Dabei handelt es sich um ein noch sehr junges Arbeitsfeld, das die Geragogik als Wissenschaft des Alterns und die künstlerisch-praktische Arbeit verbindet. „Es war eine spannende und oft berührende Zeitreise“, sagt Strathus.

Einmal die Woche hat er die sechs Senioren in der Zeit von Januar bis Mai zu Einzelgesprächen getroffen, in denen diese bereitwillig über ihr Leben erzählten. „Ich mochte gar nicht mehr aufhören zu plappern“, sagt Sigrid Franke. Sie ist mit 63 Jahren die jüngste Teilnehmerin, die aufgrund ihrer MS-Erkrankung bereits seit 2016 im Fliedner-Haus lebt. „Ich habe ja sonst niemanden, mit dem ich reden kann“, sagt sie und fügt hinzu: „Es tat mir sehr gut, jemandem von meinen Konflikten in der Kindheit mit meiner Stiefmutter erzählen zu können.“

Für Strathus seien diese direkten, ehrlichen Gespräche nicht belastend gewesen, erklärt er. „Es war vor allem faszinierend, da ich die Menschen, mit denen ich sonst regelmäßig Kontakt habe, viel besser kennengelernt habe.“

Den Heimbewohnern hat es offenbar gut getan, über ihr Leben so ausführlich erzählen zu können. So wie Elly Shallnas. Die 88-Jährige berichtete von ihren Erfahrungen während der Flucht von Pommern nach Schleswig-Holstein. „Als Arbeitskräfte in Dormagen gesucht wurden, kam ich erst nach Neuss.“ Ihre Lebensgeschichte auch künstlerisch aufzuarbeiten, dabei hat ihr Sohn sie maßgeblich unterstützt und alte Fotos sowie persönliche Dokumente für das Projekt digitalisiert.

Gebürtige Rheinländerin ist die 91-jährige Margarethe Behnke. Kunst begleitete sie ihr Leben lang, war ihr Mann doch ein begabter Hobbymaler. Die Farben und das Malen liebt auch Heinrich Heyn. Der gemütlich wirkende Mann, der im Januar 90 Jahre alt geworden ist, hat das Hintergrundbild für den Blog im Internet erstellt, in dem ausführlich über die Lebensgeschichten und die Entstehung der künstlerischen Selbstportraits berichtet wird.

Herbert Engels hat sein Portrait nicht mehr selbst malen können. „Zwei Tage vor seinem Tod hatten wir die letzte biographische Sitzung“, sagt Strathus. Dem Ur-Neusser haben die Senioren künstlerisch ein besonderes Andenken geschaffen: Sie porträtierten ihn auf einer Wolke.

Das Malen und Zeichnen sei kein Wunderwerk gewesen, gibt Strathus gerne zu. Die Fotos der Teilnehmer wurden per Beamer auf die jeweiligen Leinwände projiziert und anschließend abgezeichnet. Zu besonderen Kunstwerken wurden sie vor allem durch die Bearbeitung danach – mit persönlichen Bildern und Erinnerungen aus dem Leben der sechs Senioren.

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