Analyse zur Absage von „Schade, dass sie eine Hure war“ Entscheidung mit dem Holzhammer

Neuss · Die Absage der RLT-Premiere des Stücks „Schade, dass sie eine Hure war“ in der Inszenierung von Kathrin Mädler in Neuss trifft die Intendantin Caroline Stolz in ihrer ersten Spielzeit hart. Schon der Start war recht holprig.

 Caroline Stolz leitet das Rheinische Landestheater seit Beginn der aktuellen Spielzeit.

Caroline Stolz leitet das Rheinische Landestheater seit Beginn der aktuellen Spielzeit.

Foto: Helga Bittner (hbm)

Was die Chefin des Neusser RLT, Caroline Stolz, derzeit mitmacht, wünscht sich kein Intendant an einem bundesdeutschen Theater: Absage einer Premiere  aus „künstlerischen Gründen“, Übernahme der Regie und Fertigstellung der Inszenierung für eine um vier Tage nach vorn verschobene Premiere –   von einem Samstag auf einen Donnerstag. Dass Stolz sich die Leitung der Inszenierung mit ihrer Stellvertreterin Eva Veiders teilt und der bisherige Dramaturg Olivier Garofalo der Produktion „Schade, dass sie ein Hure war“ erhalten bleibt, wird sie nur wenig entlasten. Auf jeden Fall hat Stolz der Regisseurin Kathrin Mädler zwei Tage vor der geplanten Premiere ihrer Arbeit  am RLT das Heft des Handelns aus der Hand genommen.

Da weder Stolz noch Mädler laut eines RLT-Sprechers zu weiteren Stellungnahmen bereit stehen, sind Spekulationen Tür und Tor geöffnet. Welche „künstlerischen Gründe“ könnten Stolz veranlasst haben? Hat sie sich erst zwei Tage vor der geplanten Premiere um die Einrichtung gekümmert? Immerhin ist Mädler nicht irgendwer. Ihre Regiearbeiten bekommen überwiegend gute Kritiken und als Intendantin des Landestheaters Memmingen prägt sie eine Bühne, die ihr Publikum findet und deren Auslastung unter ihrer Leitung gestiegen ist. Ihr Haus wurde im vergangenen Jahr für seine politische und gegenwartsbezogene Haltung im Spielplan als eine von elf Bühnen kleiner und mittlerer Größe mit dem Theaterpreis des Bundes ausgezeichnet (in dessen Jury unter anderem die Stolz-Vorgängerin am RLT Bettina Jahnke saß).

 Kathrin Mädler war engagiert worden, um das Stück von John Ford zu inszenieren.

Kathrin Mädler war engagiert worden, um das Stück von John Ford zu inszenieren.

Foto: dpa / Karl-Josef Hildenbrand

Für den Zugriff auf die Inzest-Geschichte um die Geschwisterliebe von Annabella und Giovanni in dem Stück von John Ford hatte sie, so erzählte Mädler im Vorfeld, vor allem einen Aspekt in den Fokus gerückt: Warum prangert eine Gesellschaft lieber andere an, als sich selbst zu fragen, was schief läuft? Und natürlich sah sie, die sich unter anderem auch im Deutschen Bühnenverein sehr intensiv mit der Stellung der Frau im Theaterwesen auseinandersetzt, das Problem, dass die Gesellschaft auch heute noch – und nicht nur zu Fords Zeit vor vier Jahrhunderten – so patriarchalisch geprägt ist, dass Frauen immer noch daran zugrunde gehen können. So war Mädler zum Thema des stark von Männern dominierten Bereichs Theater auch zu einem öffentlichen Diskurs im Theatercafé Diva eingeladen worden. Der fand aber ohne Stolz statt, sie musste aus Krankheitsgründen absagen.

Vielleicht aber haben jene Änderungen, die Mädler laut Aussage von Beteiligten schon bei einer Soirée drei Tage vor der Premiere zu ihrer Inszenierung ankündigt hatte, die Entscheidung ausgelöst, die Regisseurin zu entbinden.

So oder so ist es der „worst case“, die schlimmstmögliche Wendung für eine Intendantin, schon in ihrer ersten Spielzeit an einem neuen Theater zu diesem Holzhammer greifen zu müssen. Zur Erinnerung: Auch Bettina Jahnke hatte aus künstlerischen Gründen 2013, in ihrer fünften Spielzeit,  eine Inszenierung abgesetzt („Noch ist Polen nicht verloren“), war aber sehr offensiv damit umgegangen.

Stolz ist sicher ein anderer Typ als die sehr kommunikative Jahnke und hat ohnehin keinen einfachen Start am RLT Neuss gehabt. So überraschte sie nach ihrer Ernennung mit dem Vorhaben, ihren Lebensgefährten und Vater ihres Sohnes, Tom Gerber, zum stellvertretenden Intendanten zu machen. Im März 2018 wurde er als „Hausregisseur und Dramaturg“ und als „neues Mitglied der künstlerischen Leitung des Schauspielhauses“ vorgestellt. Dass er die Position als „Hausregisseur und Dramaturg“ nicht antrat, hatte jedoch mit einer plötzlichen Erkrankung Gerbers ein Jahr später (übrigens ein ausgezeichneter Schauspieler und ebenso guter Regisseur), zu tun.

Alexander May, von Beginn an als Chefdramaturg im Team dabei, im März 2018 als Stolz’ Stellvertreter offiziell präsentiert, zeigte sich vielfach auf Terminen in der Stadt und brachte sich in Diskussionen ein. Aber auch er hat das Haus schon wieder verlassen, aus „persönlichen Gründen“, wie er mit großem Bedauern und sehr glaubhaft versicherte.

Künstlerisch  betrachtet liefert Stolz in ihrer ersten Spielzeit zumindest solide Kost ab. Nichts Aufregendes bisher, aber auch nichts, was man in Grund und Boden stampfen könnte.

*In der aktuellen Version haben wir den Zeitablauf konkretisiert, um Missverständnissen vorzubeugen.

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