Premiere am RLT Neuss Zynische Beobachter einer Flucht

Neuss · Regisseurin Julia-Huda Nahas hat aus dem Roman „La Línea“ von Ann Jaramillo ein 70-minütiges Bühnenspiel gemacht. Bis zum Schluss wird die Spannung über die Flucht des jungen Miguel und seiner Schwester Elena gehalten.

 Szene aus „La Línea“ mit den Darstellern Kathrin Berg, Christoph Bahr, Richard Lingscheidt und Petra Kalkutschke (v.l.).

Szene aus „La Línea“ mit den Darstellern Kathrin Berg, Christoph Bahr, Richard Lingscheidt und Petra Kalkutschke (v.l.).

Foto: Björn Hickmann/stage picture

Natürlich geht es um die Mauer. Ohne dass sie erwähnt wird, spielt Donald Trumps Grenzwall zur Abschottung von Mittelamerika die Hauptrolle in dem neuen Jugendstück des RLT. „La Línea – der Traum vom besseren Leben“ beruht auf der Grundlage des gleichnamigen Buchs von Ann Jaramillo. Es geht um zwei junge Latinos, die ihren Eltern in die USA folgen wollen. Diese hatten die Kinder bei der Großmutter zurückgelassen, um ihnen mit Geldsendungen aus dem „gelobten Land“ ein besseres Leben zu ermöglichen. Miguel und seine Schwester Elena aber machen sich selbst auf den gefährlichen Weg nach „la línea“, also zur Grenze. Sie wissen, dass sie mit Terror-Banden, Grenzpatrouillen und zwielichtigen Personen zu rechnen haben. Trotzdem brechen beide mit etwas Geld in der Tasche auf, um „Coyote“, einen Schleuser, zu finden und „el Pomero“, den Mann, der sie durch die Wüste führen soll.

Die Autorin der Geschichte ist mit einem Sohn mexikanischer Einwanderer verheiratet. Als Lehrerin an einer Schule in Kalifornien lernte sie viele Migrantenkinder kennen. Ihnen wollte sie mit ihrer Erzählung das Gefühl geben, nicht allein zu sein. Jaramillo gibt der dramatischen Handlung ein „happy end“: Miguel und Elena schaffen es über die Grenze. In der Wirklichkeit aber bleibt der Traum vom besseren Leben für viele eine unerfüllbare Illusion.

In Neuss hat die junge Regisseurin Julia-Huda Nahas das Buch zu einem 70-minütigen Bühnenspiel umgearbeitet. Und eine „Meta-Ebene“ hinzu gefügt, auf der die Auslöser für das Massenphänomen Migration erläutert werden. Denn „alle zwei Sekunden wird ein Mensch auf der Welt zur Flucht gezwungen“. Die Schauspieler Christoph Bahr und Petra Kalkutschke sind aber auch zynische Beobachter des Geschehens. Als „Sombrero-Lemminge“ verspotten sie die Migranten und schließen Wetten auf deren Überlebenschancen ab. „Survival oft he fittest“ funktioniert hier nicht, denn gerade auf die Fitten, die Gesunden, warten brutale Organhändler. Schließlich gibt es auch noch den „Matagente“. Das ist ein Güterzug durch Mittelamerika, auf dessen Dach viele Latinos die Reise nach Norden schaffen wollen. Doch der spanische Name heißt „Menschentöter“, und das sagt wohl alles.

In den Hauptrollen des Stücks stehen Kathrin Berg und Richard Lingscheidt auf der Studiobühne. Dort hat Jutta Borneman (Bühne und Kostüme) einen mächtigen roten Schlagbaum aufgebaut. Das drehbare Ungetüm dient Miguel und Elena in ihrem mexikanischen Heimatort zunächst als Wippe zum Spielen. Später, als sie tatsächlich „la línea“ überwunden haben, wird aus dem roten Grenzbalken eine Kompassnadel, die den Weg durch die Wüste Arizonas anzeigt: nach Kalifornien biegt man links, nach New York rechts ab. So einfach ist es dann doch nicht. Aber das Spiel der vier Akteure, darunter Bahr und Kalkutsche in verschiedenen Rollen, hält die Spannung bis zum Ende.

Ergänzend zum Stück ist im Foyer des RLT eine Foto-Ausstellung zu sehen. „Unsichtbare Opfer“ dokumentiert auf über dreißig Bildtafeln die gefahrvolle Reise von Latinos auf der Flucht vor Armut und Gewalt. Als Wanderausstellung von Amnesty International tourt sie seit 2010 durch Deutschland.  Am Eröffnungsabend ergänzten Beiträge von Schülern des Kaarster Georg-Büchner-Gymnasiums die Schaubilder.

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