Hausregisseur am Schauspielhaus Zürich mit Neuss-Bezug Hüsch-Enkel inszeniert an den großen Bühnen

Neuss/Zürich · Christopher Rüping ist der Sohn der ältesten Hüsch-Tochter Uta. Er arbeitet derzeit als Hausregisseur am Schauspielhaus in Zürich.

 Christopher Rüping  – hier im Gespräch mit Zuschauern zum Gastspiel von „Trommeln in der Nacht“ in Taipeh.  Foto: Betty Chen

Christopher Rüping – hier im Gespräch mit Zuschauern zum Gastspiel von „Trommeln in der Nacht“ in Taipeh. Foto: Betty Chen

Foto: Betty Chen

Er ist gerade 34. Doch er hat schon an den großen Bühnen in Berlin, Hamburg, Frankfurt oder München inszeniert. Mit Brechts „Trommeln in der Nacht“ gastierte er in Chinas Hauptstadt Beijing. Er gilt als „Shootingstar“ der Branche, wird als Regie-Wunderkind („Aspekte“, „Welt“) gefeiert, jetzt steht er als einer der acht Hausregisseure am Schauspielhaus Zürich unter Vertrag. „Meine Wiederherstellung ist weit gediehen“, sagt Christopher Rüping. Anfang Februar hatte er mit Brechts „Im Dickicht der Städte“ an den Münchener Kammerspielen Premiere. Seiner alte Wirkungsstätte als Hausregisseur. Nun haben Proben für sein neues Stück in Zürich begonnen. „Einfach das Ende der Welt“ von Jean-Luc Lagarce, der nach Shakespeare und Molière in Frankreich meistgespielte Dramatiker. Am 24. April ist Premiere in der Schiffbau-Halle.

Christopher Rüping wurde in Hannover geboren. Doch in Neuss an der Promenadenstraße sitzt einer, der verfolgt in den Medien aufmerksam und stolz den Werdegang eines seiner elf Enkel: Heinz-Günther Hüsch (90). Der Altmeister der Neusser Politik, einst Bundestagsabgeordneter und mehr als 50 Jahre Neusser Stadtrat, ist das Oberhaupt der großen Familie, die viele Juristen hervorgebracht hat. Christopher Rüping, Sohn der ältesten Hüsch-Tochter Uta, reizte die Rechtswissenschaft nicht. Dabei bräuchten Juristen und Theatermacher, denkt er laut, durchaus beide ein Gefühl für Sprache und Inszenierungen: „Gerichtsverfahren haben etwas theatrales.“

Neuss besuchte Christopher Rüping zuletzt im Juni. Da wurde sein Großvater 90. Sein Onkel Cornel erhielt wenige Tage später einen päpstlichen Orden. Beim Familientreffen war er dabei, aber er in Neuss sei er eher selten. Früher als Kind war er öfter in der Stadt, aber nie im Rheinischen Landestheater (RLT): „Am Gebäude bin ich mit der Oma nur vorbei spaziert.“ Heute ist sein Onkel Cornel Hüsch (57) Vorsitzender des RLT-Trägervereins – ein Jurist und Theatermacher eben.

Rüpings Neuss-Bezug findet eine Anknüpfung in vielen Schauspieler-Biografien. Das hat einen einfachen Grund. Alle Schauspielschüler müssen zum Abschluss ihrer Ausbildung ins Gruppenvorsprechen – und dafür gibt’s deutschlandweit nur drei Standorte: Berlin, München und eben Neuss.

Inzwischen wohnt Christopher Rüping in Zürich. Er lebt dort, wo er hauptsächlich inszeniert. Das macht für ihn Sinn, weil Theater sich mit der kulturellen Identität der (Stadt-)Gesellschaft reibt. Öffentlicher Beifall und ausverkaufte Häuser freuen ihn, sind aber nicht das primäre Ziel seiner Anstrengungen: „Auslastung ist kein notwendiges Kriterium für Qualität.“ Beim Broadway-System müssten sich die Theater selbst finanzieren. Im System der vom Steuerzahler finanzierten Theater sei der Auftrag ein anderer, der letztlich in der unendlichen Relevanz-Debatte gesucht, gefunden und wieder verworfen werde.

Es seien die Menschen am Theater, die ihn anziehen: „Dort finde ich die Gruppe, der ich mich zugehörig fühle.“ So spricht er von „Wir“ und meint ein Kernteam, mit dem er gern und oft zusammenarbeitet. Der Bühnenbildner Jonathan Mertz, die Kostümbildnerin Lene Schwind und der Musiker Christoph Hart gehören dazu, mit den Schauspielern Wiebke Mollenhauer, Nils Kahnwald, Benjamin Lillie und Maja Beckmann arbeitet er seit Jahren zusammen, jetzt auch in Zürich.

Auf der Bühne filettiert er Stoff und Figuren, bricht Handlungen und Rollen auf, um sie sogleich neu zusammenzusetzen. Er bietet sogar alternative Enden an. Das Ergebnis von Rüpings Arbeit ist aber nicht Beliebigkeit, er interpretiert die Welt vielmehr als zu komplex für nur eine Wahrheit. Dabei ist die Wiedererkennbarkeit der „Inszenierung Rüping“ nicht sein Ziel. Sein Theater, das Stücke neu denkt, ist radikal, politisch, provokant.

Mit seinem Mut zur Mehrdeutigkeit fordert er Ensemble und Publikum. Ist „Der große Gatsby“ nun ein romantischer Liebhaber oder ist er ein krimineller Hochstapler? Vier Schauspieler, allesamt Männer, überlassen in Rüpings Bühnenfassung von F. Scott Fitzgeralds bekannten Roman die Antwort dem Zuschauer. Rüpings „Hamlet“ ist ein Drei-Personen-Stück, den markanten Sein-oder-Nichtsein-Monolog übernimmt ein Vierter: Musiker Christoph Hart.

Mit Variationen einer Publikumsbeteiligung experimentiert Christopfer Rüping wiederholt. Bei „Peer Gynt“ stimmen die Besucher per Handzeichen über das Schicksal der Protagonisten ab, bei „Philoktet“ hilft eine Murmel, bei „Dekalog“ gab es einen eigens dafür gebautes Computersystem. Seine Inszenierung von Brechts „Trommeln der Nacht“ bietet gar zwei alternative Enden an. Im Original entscheidet sich die Hauptfigur für die Liebe und damit für den Rückzug ins Private. Rüping entwickelte an Hand von Skizzen aus Brechts Nachlass einen neuen Schluss: Da politisiert sich der Akteur und wählt die Revolution. Während Rüping beim deutschen Publikum die Sympathie für die romantische Version spürte, favorisierten die Besucher in Beijing und Taipei die Revolution-.

 auf den Proben zu meiner Inszenierung von Brechts „Im Dickicht der Städte“ an den Münchner Kammerspielen.

auf den Proben zu meiner Inszenierung von Brechts „Im Dickicht der Städte“ an den Münchner Kammerspielen.

Foto: Julian Baumann

Das Theater, seine Stücke und seine Inszenierungen sind kein Zustand, sondern ein dynamischer Prozess. Eine Binsenweisheit? Mag sein. Die Inszenierungen von Christopher Rüping, der als Regisseur Taktgeber und Lotse zugleich ist, holt das Publikum aus der Zuschauerrolle heraus. Es wird animiert, Partei zu ergreifen. Die Hüschs aus Neuss sind eine politische Familie. Auch in der dritten Generation.

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