Neuss Plädoyer gegen das Kopftuch

Neuss · Die in Istanbul geborene, in Deutschland aufgewachsene bekennende Muslimin Lale Akgün hat feste Vorstellungen von einer Liberalisierung des Islam. Ihr jüngstes Buch, "Aufstand der Kopftuchmädchen", aus dem sie in der Stadtbibliothek las, zeugt davon.

 Fordert einen modernen Islam: Lale Akgün.

Fordert einen modernen Islam: Lale Akgün.

Foto: Andreas Woitschützke

Ursula Hebben brachte das Thema in ihrer Einführung auf einen schlichten, gleichwohl treffenden Punkt: "Wenn man das Wort ,Kopftuch' sagt, gehen alle Lampen an." Umso spannender also, was passieren würde, wenn die Autorin eines Buches, dessen Titel "Aufstand der Kopftuchmädchen" wie ein Statement klingt, auf junge Frauen trifft, die eben dieses Kopftuch tragen. Aus voller Überzeugung. Selbst (oder gerade?) der ungewöhnliche Zeitpunkt der Lesung mit der Schriftstellerin und SPD-Politikerin Lale Akgün in der Stadtbibliothek – nämlich um 17 Uhr – zog die vornehmlich weiblichen Zuhörer in beeindruckender Menge an, so dass die besten Voraussetzungen für eine anregende Diskussion gegeben waren.

Mittel der Abgrenzung

Und dazu kam es auch. Denn Lale Akgüns für die Lesung ausgewählte Passagen aus ihrem 300 Seiten starken Buch boten genug Stoff, um sich in eine oder eben auch andere Richtung zu bewegen. Auf die Grundsatzfrage "Kann es einen modernen und aufgeklärten Islam geben?" gab die 1953 in Istanbul geborene Deutsche muslimischen Glaubens (eine Charakterisierung, die sich viele – vor allem deutsche – Zuhörer als Standard wünschten) eine klare Antwort: Ja, aber dafür muss einiges geschehen.

Vor allem fordert die Autorin eine zeitgemäße Auslegung des Korans. Er sei unter den Lebensumständen im 7. Jahrhundert entstanden, erklärt sie, "aber wir müssen den Koran im historischen Kontext lesen, den Geist dahinter, die allgemeinen Prinzipien finden". Davon bietet sie in ihrem Buch, das auf der Basis vieler Gespräche mit Islamwissenschaftlern entstanden ist, viel an. Eins davon betrifft das Beten: " Fünf Mal am Tag muss nicht sein", sagt sie, "sondern wichtig ist, dass Beten nicht nur äußere Demonstration und Pflichterfüllung ist." Und ein anderes wiederum ziele auf die Aufforderung zur Bedeckung des Körpers. Das Kopftuch sei lediglich ein Relikt aus den Zeiten, als sich die Menschen mit Verhüllung in der Wüste vor Klima und Sand schützen mussten. "Aber das galt für Männer wie für Frauen." Von "Kopftuch" für Frauen sei im Koran nirgendwo die Rede, lediglich von "Tuch" in der Vorgabe, sich grundsätzlich – Mann wie Frau als "gleich wertvoll und gleichberechtigt" – jeder Lebenslage angemessen zu kleiden.

Neueren Deutungen, das Kopftuch sei auch ein Ausdruck des Selbstbewusstseins vor allem junger Musliminnen, erteilte Akgün ein klare Absage. Und rief damit den Widerspruch von jungen anwesenden Kopftuchträgerinnen hervor, die genau das für sich in Anspruch nehmen und der Autorin zudem eine einseitige Darstellung vorwarfen. Akgün schärfte ihre Position noch, indem sie den Imamen vorwarf, die Köpfe der jungen Musliminnen mit Schauermärchen über Haare, die sich bei Sichtbarwerdung im Jenseits in Schlangen verwandelten, vollzustopfen, nur damit diese sich selbige bedeckten. "Sich frei zeigen zu können, ist ein Menschenrecht", sagt sie, "das Kopftuch ein Mittel der Abgrenzung, mit dem Mädchen die Ohren zugehalten und der Atem abgeschnürt wird."

Nein, einig wird man sich in vielen Punkten zum Thema Islam und Koranauslegung wohl nicht werden, wie Gastgeberin Ursel Hebben von der Stadtbibliothek abschließend feststellte. Aber die Diskussion selbst und die noch weitergeführten Gespräche untereinander zeigten, dass es da viel Bewegung gibt. Das schürt die Hoffnung, dass sie über die Zeit die Menschen zueinander führt.

(NGZ)
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