Neuss Neusser Hafen in der Nacht der Industrie

Neuss · Die Lange Nacht der Industrie, in Neuss beginnt sie mit guter Laune. In den letzten Reihen des großen Reisebusses, der gerade in Richtung Hafen startet, sitzt eine Neusser Stammtischrunde. Erste Witze kursieren, die Neusser Prominenz kommt darin vor, und man weiß nicht genau, ob die Düsseldorfer Teilnehmer, die weiter vorne sitzen, sich damit wohlfühlen oder nicht.

Für gute Stimmung ist an diesem Abend aber sowieso jemand anderes zuständig: Thomas Düttchen, Sprecher der Neuss-Düsseldorfer Häfen. Qua Amt als Pressesprecher sonst eher zugeknöpft, blüht Düttchen bei dieser Fahrt geradezu auf, kann während der zweistündigen Tour kaum davon lassen, immer neue Details von "seinem" Hafen zu erzählen.

Die Reise beginnt mit der Fahrt auf die andere Rheinseite. Vorbei am hell erleuchteten Medienhafen geht es in der aufkommenden Dunkelheit zum Düsseldorfer Container-Hafen. Düttchen erzählt von den Unternehmensbereichen der Neuss-Düsseldorfer Häfen, von Schiffsgüterumschlag, Kranleistungsentgelten und dem Eisenbahnverkehr, die in der neuen Gesellschaft RheinCargo gebündelt werden. "Die größten Produktgruppen, die bei uns umgeschlagen werden, sind Eisenerze, Baustoffe, Autos und Nahrungsmittel", erzählt Düttchen, während Busfahrer Detlef Rauch die Zufahrt zum Containerhafen erreicht. "Langsam jetzt" , ruft Düttchen, denn in der diesigen Dunkelheit hat Rauch die großen Bodenwellen übersehen. "Da ist schon so mancher Lasterfahrer mit dem Kopf an der Decke gestanden", scherzt Düttchen, die Fahrgäste lachen.

Dann zieht der Bus vorbei an einer langen Reihe von Containern, die Teilnehmer zücken ihre Kameras, um den Industriecharme im Abendlicht festzuhalten. Christian Rohr ist einer der Hobbyfotografen, auf seiner Kamera hat er bereits Fotos von den Häfen Hamburg und Rotterdam. "Das ist meine dritte Hafenrundfahrt in diesem Jahr", erzählt der Solinger, der in Düsseldorf arbeitet. "Jetzt wollte ich mir mal einen kleineren Hafen anschauen", sagt er mit einem Augenzwinkern, während Sprecher Düttchen vorn am Mikrofon die Container-Maßeinheit "TEU" erläutert. Nebenher muss Düttchen den Busfahrer weiter anweisen, denn die Fahrspur zwischen den Containern ist eng. "Keine Bange, das haben andere auch geschafft", ruft Düttchen, als der Bus um eine haarscharfe Ecke biegen muss. Dann lichten sich die Containertürme, der Blick fällt auf den Düsseldorfer Fernsehturm, die Kameras blitzen wieder auf.

Aussteigen können die Teilnehmer während der Rundfahrt nicht, Düttchen hält dazu einen Vortrag über Hafensicherheit, was die Stimmung etwas trübt. Doch Düttchen hat Glück: Als der Bus über eine Brücke fährt, ist im Hafenbecken ein großes Containerschiff zu sehen, das gerade erst beladen wurde. Mittlerweile ist es stockdunkel geworden, das Licht der großen Krananlage verleiht dem Schiff einen rötlichen Schimmer, das lenkt die Teilnehmer ab. Düttchen erzählt, dass der Bus gerade auf einer Hubbrücke steht. "Jetzt aber schnell weiter, bevor die hochgezogen wird", witzelt er. Busfahrer Rauch fährt wieder los und macht sich auf den Weg zurück nach Neuss, vorbei an Unternehmen wie DB Schenker, der Papierfabrik Hermes und den Fortin Mühlenwerken. Ziel ist das Hafenbecken V.

Das Gelände dort hat für Karl-Wilhelm Heller eine besondere Bedeutung. Der 79-Jährige, der heute im Barbaraviertel lebt, kennt den Hafen aus Kindertagen. "Mein Vater war bei RWE beschäftigt", erzählt Heller, der die "Lange Nacht der Industrie" nutzt, um in Erinnerungen zu schwelgen. Seine Familie lebte in einer Werkswohnung am Hafen, mitten im noch nicht voll erschlossenen Industriegebiet. "Ich kann mich noch erinnern, wie im Floßhafen noch echte Flöße anlegten", erzählt Heller. "Für Außenstehende ist es kaum fassbar, wie sehr sich hier alles verändert hat", meint der Senior, während der Bus am Neusser Autoterminal vorbei fährt, das heute die Floßhafenstraße bestimmt. In langen Reihen stehen dort Autos dicht an dicht, sowohl im Terminal als auch bei den benachbarten BCA Autoauktionen.

"Es ist interessant zu sehen, wie vielfältig der Hafen ist", sagt Dorothee Broermann, die drei Reihen vor Karl-Wilhelm Heller im Bus sitzt. Zum ersten Mal ist die junge Frau bei einer Hafenrundfahrt dabei. Sie ist erst vor kurzem in die Landeshauptstadt gezogen — für einen Job beim Kranhersteller Demag Cranes. Weil der auch Hafenkräne produziert, macht Broermann bei der "Langen Nacht der Industrie" mit — schließlich lasse sich dabei die Wirtschaft des Hafens aus der Nähe betrachten, sagt die gebürtige Osnabrückerin.

Der Bus fährt unterdessen weiter zum Hafenbecken III, zum ersten Mal geht es direkt am Wasser vorbei. Auf der gegenüberliegenden Seite des Beckens wird gerade eine Eisenbahn beladen, Sprecher Düttchen erläutert die Bedeutung des Eisenerz-Geschäfts, eine Million Tonnen dieses Rohstoffs werden jedes Jahr über den Neusser Binnenhafen exportiert.

Wer über das Hafen-Wasser spricht, der kommt mit Rocko Kasimir ins Gespräch. Der Neusser ist begeisterter Angler, und widerlegt — zur Freude von Hafensprecher Düttchen — das Vorurteil, das Wasser in den Hafenbecken sei schmutzig. "Da hätten Sie mal vor 30 Jahren im Rhein angeln gehen müssen", sagt Kasimir. "Das war alles für die Tonne." Heute fischt er Hecht, Zander und Barsch, "das ist ein Geheimtipp", sagt Kasimir. Der Bus rollt unterdessen weiter, die Nacht ist noch jung, die nächste Station wartet auf die Teilnehmer. Es geht noch einmal nach Düsseldorf — zu den Stadtwerken. Thomas Düttchen verlässt die Gruppe in Neuss, begleitet vom Klatschen des Publikums und leisen Schenkelklopfern von ganz hinten. Denn bei der Stammtischrunde hat schon wieder ein neuer Witz gezündet.

(NGZ/ac)
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