Neuss Neuss wendet sich gegen Fremdenhass

Neuss · In das Erinnern an die Ermordung von sechs Millionen Juden mischte sich gestern in Neuss Abscheu über neue rechte Tendenzen im Lande. Neusser Schüler, Politiker und die jüdische Gemeinde warnten vor neuem Rassismus im Land.

 Gedenken an die Pogromnacht vor der Janusz-Korczak-Gesamtschule: Jouanna Frühauf und Josefine Kluth putzen die Stolpersteine für Paula Stein, Irma Stein und Fritz Stein.

Gedenken an die Pogromnacht vor der Janusz-Korczak-Gesamtschule: Jouanna Frühauf und Josefine Kluth putzen die Stolpersteine für Paula Stein, Irma Stein und Fritz Stein.

Foto: Lothar Berns

Der Wind weht scharf am Mahnmal für die 204 im Holocaust getöteten Neusser Juden. Und als Justin Rosing (14) und seine Mitschüler von der Gesamtschule Nordstadt an die Greueltaten und Verbrechen an den Juden erinnern, läuft vielen der 500 Gäste ein kalter Schauer über den Rücken. Ihre Gesichter sind leer, manche traurig, tränenerfüllt, bei manchen graben Wut und Fassungslosigkeit Falten um die Mundwinkel. Die Schüler erinnern an den 17-jährigen jüdischen Schüler, der in Gummersbach verprügelt wurde. An den israelischen Jugendlichen, der in Loucha beschimpft und zusammengeschlagen wurde. An Rabbi Daniel Alter, der in Berlin-Schöneberg grausam verprügelt wurde - Taten aus den Jahren 2009, 2010, 2012. Und Bürgermeister Reiner Breuer sagt: "Wenn wilde Horden durch die Innenstädte ziehen und offen rassistische oder antisemitische Hassparolen grölen, wenn Asylbewerberheime brennen und wenn eine angehende Oberbürgermeisterin wegen ihres Einsatzes für Flüchtlinge um ein Haar erstochen wird - dann kann einem schon angst und bange werden."

Selten war das Erinnern an die Reichspogromnacht vom 9. November 1938 - jener Nacht, in der die Gewalt der Nazis gegen Juden offen ausbrach und der Völkermord begann - derart überschattet von neuem Fremdenhass, der sich nicht mehr nur in sozialen Netzwerken offen Bahn bricht in Deutschland. "Tausende laufen heute zu Kundgebungen, in denen es zum Standard wird, über andere Menschen herzufallen", mahnte Bert Römgens von der jüdischen Gemeinde Düsseldorf und rief den Gästen der Gedenkfeier zu: "Wir dürfen - definitiv auch begründet in unserer eigenen Geschichte - dem rechten Lager keinen Handlungsspielraum bieten."

Viele Beiträge dazu leisten Schüler in der Stadt. Die AG Menschenrechte der Gesamtschule Nordstadt und ihr Lehrer Peter Herzhoff gestalteten die Gedenkstunde mit Texten über ihre Recherchen zur Judenverfolgung in Neuss und in Europa mit. Sie erzählten Schicksale, nannten Zahlen des Grauens. Und sie werden im kommenden Jahr die Holocaust-Gedenkstätte in Auschwitz-Birkenau besuchen. "Da ich in Deutschland lebe, ist das auch meine Geschichte", sagt Schüler Justin Rosing (14). Und Helias Becks (15) warnt: "Keiner von uns ist schuld an dem, was damals passierte. Aber wir haben die Verpflichtung, uns zu erinnern und alles zu tun, damit so etwas nie wieder passiert."

Am Nachmittag putzen Schüler der Janusz-Korczak-Gesamtschule in der Innenstadt die leicht angelaufenen Stolpersteine, die vom Künstler Gunter Demnig als Erinnerung an die Opfer des Nazi-Terrors in den Bürgersteig eingelassen werden. "Wir wollen Leuten die Geschichte der Familie Stein näherbringen", sagt Lea Piske (14), die mit ihrer Freundin Anastasia Shraer (13) von der Verschleppung der Familie erzählt. "Man kann das nicht so nachvollziehen, was die Familie erlebt hat. Aber das nachzulesen, das ist uns wichtig." Die Schüler zünden Kerzen an, legen Rosen nieder, halten vor der Schule eine Mahnwache.

"Jugendliche in Neuss leisten ihren Beitrag dazu, dass die Namen nicht vergessen werden. Sie geben ihnen ein Stück Würde", lobte Stadtarchivar Jens Metzdorf. Das Erinnern ist wichtig, aber es wurde überschattet von dem anderen Gedanken, den Schulleiter Achim Fischer aussprach: "Wir sind in einer Situation, in der wir aufpassen müssen, die gleichen Fehler nicht noch einmal zu machen."

(NGZ)
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