Umstrittener AKP-Vortrag in türkischem Kulturverein Was kommt nach der Hetzrede in Neuss?
Meinung | Neuss · Nicht nur in Berlin und auf diplomatischem Parkett sorgt die Hetzrede eines AKP-Politikers bei einem Auftritt in einem türkischen Kulturverein in Neuss für Wirbel. Auch die Lokalpolitik ist gefragt. Wie steht es um Integration und das Zusammenleben der Kulturen in Neuss? Ein Kommentar.
Neuss ist in den Schlagzeilen, bundesweit – leider wenig positiv fürs Image: Die Hetzrede von Mustafa Açıkgöz, einem Abgeordneten der AKP, der Partei des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan, sorgt für Protest. Im türkischen Kulturverein an der Yunus-Emre-Moschee, der zum Netzwerk der rechtsextremistischen Gruppierung „Graue Wölfe“ gehören soll, rief er zur „Vernichtung“ politischer Gegner auf. Unter denen, die applaudierten, war Gastgeber Tansel Ciftci, Vorsitzender des Kulturvereins, aber auch CDU-Mitglied und Sachkundiger Bürger in einem Ratsausschuss, gemeinsam mit Mehmet Savran, Bürgermeister von Nevsehir, der Neusser Partnerstadt in der Türkei.
So fällt der Name Neuss jetzt überregional häufiger: Außenministerin Annalena Baerbock hat Vertreter der türkischen Botschaft eingeladen, Staats- und Verfassungsschutz ermitteln, das Auswärtige Amt hat protestiert, schließlich sagte Erdogan wegen der Reaktionen auf den Vorfall in Neuss eine geplante Deutschlandreise ab.
In Neuss selbst hielten sich die öffentlich wahrnehmbaren Reaktionen erst einmal in Grenzen. Die CDU hätte nach einem unglücklichen Auftritt des CDU-Landtagsabgeordneten Jörg Geerlings in den gleichen Räumen des türkischen Kulturvereins im Mai 2022 eigentlich gewarnt gewesen sein müssen. Damals machten Fotos von Geerlings und seinen Gastgebern mit Symbolen der „Grauen Wölfe“ im Hintergrund die Runde. Geerlings distanzierte sich damals sofort und betonte, die Symbole nicht wahrgenommen zu haben. Er sei nur einer Einladung zum Fastenbrechen gefolgt.
CDU-Mitglied Tansel Ciftci, dem Vorsitzenden des Kulturvereins, schadete die Diskussion damals nicht – erst jetzt will die CDU-Führung ein klärendes Gespräch führen. Auch die Reaktion aus dem Neusser Rathaus hielt sich 2022 in Grenzen. Ciftcis Verein wurde lediglich von einer Liste der Migrantenvereine und -verbände gestrichen. Auch jetzt äußerte sich Bürgermeister Reiner Breuer (SPD) zunächst nicht unmittelbar zu den Vorfällen, sondern betonte zunächst nur bei der Verleihung des Integrationsförderpreises, dass in Neuss kein Platz für Hass und Hetze sei. Michael Klinkicht von der „Fraktion Jetzt“ reichte das nicht, er forderte mehr als Vorwürfe gegen die politische Konkurrenz, wie sie von der SPD zu hören waren. Die Sozialdemokraten nutzten den Vorfall zur Breitseite gegen die CDU.
Und in der Tat: Das reicht nicht. Inzwischen ist klar, dass Breuer gegenüber seinem Amtskollegen aus Nevsehir sehr deutlich seinen Unmut zum Ausdruck gebracht hat und weitere Konsequenzen nicht ausschließt – warum auch immer er das zunächst nicht öffentlich getan hat. Die Konsequenzen, über die die Politik in Neuss nun zu diskutieren hat, dürfen sich nicht auf Ciftci und Savran beschränken.
Der Vorgang im Kulturverein zeigt Defizite mit Blick auf die Integration eines Teils der Stadtgesellschaft mit Migrationshintergrund. So gibt es offensichtlich Gruppierungen, über deren Beweggründe und Aktivitäten nichts oder zu wenig bekannt ist. Und selbst wenn zu erahnen ist, dass dort etwas rechtlich bedenklich ist, fehlt es offenbar an dem Willen oder den Möglichkeiten, sich damit ausreichend zu beschäftigten, sei es rechtlich, politisch oder in der Quartiers- und Sozialarbeit. Das jedoch wäre dringend nötig, damit Hass und Hetze in Neuss wirklich keinen Platz haben und aus Verantwortung gegenüber denen, die sich in vielen Gemeinden und Kulturvereinen für ein friedliches Miteinander der Kulturen und Religionen einsetzen.