Jobcenter Neuss muss höhere Mieten zahlen Rhein-Kreis droht Wohngeld-Blamage

Das Sozialgericht hat in zwei Fällen für Hilfeempfänger geurteilt und den grundsicherungsrelevanten Mietspiegel des Kreises für unwirksam erklärt. Bekommt das Urteil Rechtskraft, wären die Folgen weitreichend.

Neuss: Urteil vom Sozialgericht: Rhein-Kreis droht Wohngeld-Blamage
Foto: Simon Janssen

Das Sozialgericht Düsseldorf hat in zwei Urteilen festgestellt, dass die Obergrenzen für Mietkosten, die der Rhein-Kreis für Hilfeempfänger als angemessen hält und auch erstattet, deutlich zu niedrig angesetzt sind. Die Spanne zwischen den Sätzen, die der Kreis in beiden Fällen zahlte und dem, was das Gericht für notwendig erachtet, ist riesig; im Falle einer dreiköpfigen Familie aus Neuss liegt sie bei 25 Prozent.

Das noch nicht rechtskräftige Urteil könnte zum Präzedenzfall werden, sagt Roland Sperling (Die Linke): „Neusser Hartz-IV-Bezieher können sich künftig auf dieses Urteil berufen und die Übernahme von 25 Prozent höheren Kosten als bisher verlangen.“ Das hätte für die öffentliche Hand enorme Steigerungen bei den Kosten für die Unterbringung zur Folge. Denn alleine in der Stadt Neuss wären über 7000 Haushalte betroffen, die Wohngeld beziehen.

Mit den Urteilen zertrümmert die 29. Kammer des Sozialgerichts nach Einschätzung von Thomas Kaumanns (CDU) aber auch die Studie der Hamburger Beratungsfirma „Analyse und Konzepte“, auf der der vom Kreistag beschlossene und vom Jobcenter anzuwendende „grundsicherungsrelevante Mietspiegel“ basiert. Carsten Thiel (UWG) kündigt daher an, im Kreissozialausschuss auf eine sofortige Überarbeitung dieses Zahlenwerkes zu drängen. „Bis dahin muss die Anwendung des Mietspiegels ausgesetzt werden“, sagt der Stadtverordnete und Kreistagsabgeordnete.

Neben der Neusser Familie hatte auch eine dreiköpfige Bedarfsgemeinschaft aus Kaarst gegen Mietkürzungen durch das Jobcenter geklagt. Das hatte die Mietkosten der Kläger für unangemessen hoch gehalten und nur einen Teil der tatsächlichen Kosten übernommen.  Dagegen setzten sich die Hilfeempfänger mit Blick auf den angespannten Wohnungsmarkt zur Wehr. Und die Kammer gab ihnen Recht.

Das Konzept der Hamburger Firma sei nicht schlüssig, weil in sie, wie es in einer Mitteilung des Gerichtes heißt, überproportional viele Daten aus dem SGB II-Leistungsbezug und von großen Vermietern wie Wohnungsgenossenschaften eingeflossen seien. Die Datenbasis repräsentiere daher nicht den gesamten Wohnungsmarkt. Aber genau das hatte die Beratungsfirma immer behauptet. „Wir glauben, dass die Mieten in Neuss nicht richtig eingeschätzt werden“, sagt der Neusser Sozialdezernent Ralf Hörsken. Aber damit, das rechtskräftig durchzusetzen, „scheitern wir jedes Mal.“

Während sich Kritiker der Analyse wie auch des Ergebnisses bestätigt sehen, gibt sich der Rhein-Kreis defensiv. Das Urteil beziehe sich noch auf den 2018 geltenden Mietspiegel, die seit Februar gültige Fortschreibung sei nicht beklagt, stellt Kreis-Pressesprecher Benjamin Josephs zutreffend fest. Deshalb wolle man erst die schriftliche Urteilsbegründung abwarten und prüfen, ob die Kritik des Gerichts auch auf den jetzt geltenden Mietspiegel bezogen werden kann „und Konsequenzen nötig sind“. Es könne auch sein, dass der Kreis in die Revision geht. Experten rechnen deshalb nicht damit, dass Kreisdirektor Dirk Brügge das Thema bei der Sozialdezernentenkonferenz am Mittwoch (9.) anschneiden wird.

Im Rathaus der Stadt Kaarst wartet man schon gespannt auf die konkrete Umsetzung des Urteils durch den Rhein-Kreis. „In der Praxis erwarten wir durch eine Erhöhung der Mietobergrenze eine größere Flexibilität bei der Wohnungssuche für Leistungsempfänger“, sagt Stadt-Pressesprecher Peter Böttner.

Aber wann das sein wird? Karl-Heinz Kullick (SPD), der Vorsitzende des Neusser Sozialausschusses, rechnet damit, dass der Kreis die Klage durch weitere Instanzen trägt. Aber ein Anfang sei gemacht. „Wir haben immer gesagt: Es muss nur einer mal die Traute haben.“ Und jetzt liegt zum ersten Mal ein Urteil vor.

Einen Kommentar zu dem Thema von Christoph Kleinau lesen Sie hier.

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