Gnadentaler Unternehmertisch in Neuss Von „rotzigen“ Ministern und Merkels Bitte um einen PC

Neuss · Nach mehr als sechs Jahren beim Gnadentaler Unternehmertisch (GUT) hat Moderator Ulrich Deppendorf seine Aufgabe an Uwe Schulz übergeben. Bei der Staffelübergabe zog Deppendorf Bilanz. Warum ihm Sigmar Gabriel noch eine Flasche Rotwein schuldet und Bundeskanzler Olaf Scholz mit etwas mehr Empathie auftreten sollte.

Neuss: Fotos - Besucher bei Jutta Zülow auf Gut Gnadental
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Diese Gäste waren schon beim Gnadentaler Unternehmertisch dabei

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Foto: Andreas Woitschützke

Bundesminister waren da, Vorstandsvorsitzende von Großkonzernen und Experten aus Wissenschaft und Forschung – beim Gnadentaler Unternehmertisch (GUT) stellten sich in den vergangenen 20 Jahren mehr als 60 Gäste den Fragen von Moderatoren und Publikum. Fast auf den Tag genau zwei Jahrzehnte nach der Premiere am 17. Februar 2003 wurde am Mittwochabend gefeiert. Unternehmerin Jutta Zülow, Vorstand der Zülow AG und Initiatorin des GUT, hatte mit Sohn David Zülow einmal mehr in den Saal von Gut Gnadental geladen. An Gratulanten fehlte es nicht, mehrfach mussten zusätzliche Stühle herangeschafft werden. Neben dem runden Geburtstag für ein in dieser Art einzigartiges Gesprächsforum in Region galt das Interesse vor allem einem Mann, der an diesem Abend in ungewohnter Rolle im Mittelpunkt stand: Ulrich Deppendorf (73), ehemaliger Leiter des ARD-Hauptstadtstudios, übergab die Moderation des GUT-Talks nach mehr als sechs Jahren an seinen Nachfolger, den Hörfunk-Journalisten Uwe Schulz, wie Deppendorf ein „WDR-Mann“. Zu Beginn des GUT hatte bereits der 2018 verstorbene TV-Journalist Bernd Müller aus Neuss moderiert, später auch der damalige Chefredakteur unserer Zeitung, Michael Bröcker.

Jutta Zülow machte aus der Staffelübergabe zum Dank für „vorbildlichen Journalismus“ einen „Abend für Ulrich Deppendorf“. Hauptprogrammpunkt, wie sollte es anders sein: ein Interview. Nur, dass Deppendorf diesmal für die Antworten und nicht die Fragen zuständig war. Die stellte zum ersten Mal Uwe Schulz („Ich weiß, in welch große Fußstapfen ich trete“). Deppendorf vorzustellen, sei eigentlich überflüssig: „Wer ihn nicht kennt, hat die letzten 40 Jahre unter einem Stein verbracht.“ Dennoch versprach Schulz besondere Einblick ins Leben des „Menschen und Medienprofis“ Deppendorf, der immer noch gefragt sei, wenn es gelte, die aktuellen Ereignisse der Zeit einzuordnen und zu interpretieren. Erkenntnisse und Anekdoten aus einem Journalistenleben:

Ulrich Deppendorf privat

Die Karriere des wie Wolfgang Amadeus Mozart am 27. Januar geborenen Esseners hätte auch ganz anders verlaufen können: Sein Vater wollte, dass etwas „Anständiges“ aus ihm wird, also studierte Deppendorf Jura, später entdeckte er dann seine Liebe zur klassischen Musik. Dirigent hätte er auch werden können, ernsthaft war das aber wohl keine Option, auch wenn er im Gespräch mit Schulz eingestand, manchmal zu Hause heimlich zu dirigieren.

Prominente GUT-Gäste

Innenminister Thomas de Maizière (CDU) war – noch mitten in der Flüchtlingskrise – beim GUT zu Gast, „sehr ehrlich und auch mit dem Eingeständnis von Fehlern“, erinnerte sich Deppendorf. Ein Höhepunkt war der Talk mit Sigmar Gabriel (SPD), eingeladen noch als Wirtschaftsminister und dann beim GUT zu Gast am ersten Tag als Außenminister: „Keine Sau im Bundesaußenministerium verstand, warum der Bundesaußenminister am ersten Tag im Amt ausgerechnet nach Neuss fuhr.“

Interviews mit Folgen

Und noch an ein weiteres Interview mit Sigmar Gabriel erinnerte sich Deppendorf. Im „Bericht aus Berlin“ sei der SPD-Mann richtig „rotzig“ geworden. Hinterher habe er sich aber per SMS entschuldigt und versprochen, eine Flasche Rotwein zu schicken. „Darauf warte ich noch“, so Deppendorf. Helmut Kohl habe nach einem Interview zur Parteispendenaffäre ein halbes Jahr nicht mit ihm gesprochen. Später gab es wieder Kontakt, „aber Freunde sind wir nie geworden“.

Merkel und der Computer

Bei der Berichterstattung über die letzte Volkskammerwahl in der DDR fragte eine schüchterne junge Frau an, ob sie nicht einen der vielen Computer im ARD-Studio haben könnte, sie gehöre zum Demokratischen Aufbruch und so ein Gerät würde dort sehr helfen. Deppendorf lehnte ab, man könne nicht eine Partei durch eine solche Spende unterstützen, außerdem würden die Geräte fürs TV noch gebraucht. Der Name der jungen Dame mit Sinn für IT: Angela Merkel.

Wendezeiten

In der Nacht des Mauerfalls reiste Deppendorf wie Kanzler Helmut Kohl aus Warschau zurück nach Deutschland. Der Übertragungswagen fuhr durch Polen und die DDR zurück – und wäre nie angekommen, hätte ihn ein Bauer nicht mit Diesel aus dem Traktor versorgt. Später war Deppendorf mit seinem Kollegen Fritz Pleitgen unter anderem dabei, als die Stasi-Zentrale an der Normannenstraße in Berlin gestürmt wurde und erlebte, wie wichtige Akten bei Nacht und Nebel im Austausch zwischen Geheimdiensten den Besitzer wechselten.

Mehr als „nur Berlin“

Deppendorfs Herz hängt an der Berliner Politik, kein Zweifel, beim WDR hat er jedoch weit mehr Spuren hinterlassen: Deppendorf hat das Medienmagazin ZAK mit Friedrich Küppersbusch an den Start gebracht, die Tagesschau mit mehreren Sendungen pro Tag erneuert, die Kult-Serie „Dittsche“ gegen Bedenken durchgeboxt und auch Jan Böhmermanns Karriere gefördert.

Die Deutschen und die Krisen

Trotz multikrisenhaften Zeiten gehe es den Menschen in Deutschland eigentlich vergleichsweise gut, so Schulz, dennoch werde vieles negativ betrachtet. Typisch deutsch? Deppendorf sieht bei den Deutschen durchaus den Hang depressiven Ansichten, zu ständigen Diskussionen und zur Überregulierung. Andererseits existierten Probleme, die, sollten sie nicht gelöst werden, das Potenzial hätten, dass im Land „sozial etwas auseinanderbricht“. Deppendorf nennt als Beispiel den Wohnungsmangel, hohe Mieten und Fragen der sozialen Gerechtigkeit.

Und in der Tat seien die Krisen vielfältig, auch außenpolitisch: Neben dem Krieg Russlands gegen die Ukraine sei der Kontakt zu China unter Druck, die transatlantischen Beziehungen ebenso. Es brauche Politiker, die so agierten, dass die Menschen auch wieder Hoffnung schöpfen können. Von Bundeskanzler Olaf Scholz würde sich Deppendorf in diesem Zusammenhang mehr Empathie wünschen – auch in der öffentlichen Darstellung. Gerhard Schröder, so Schulz, konnte es in seiner Zeit als Kanzler besser.

Fragen von Max Frisch

Schulz konfrontierte Deppendorf auch mit Fragen aus der legendären Sammlung des Autors Max Frisch. Wem wären Sie am liebsten nie begegnet? Antwort Deppendorf: Alexander Gauland (AfD). Wie alt wollen Sie werden? „Ziemlich egal, aber den nächsten Geburtstag würde ich schon gern erleben.“ Wären Sie gern unsterblich? „Nein, irgendwann reicht es.“ Wen würden Sie gern nach dem Tod wiedersehen? „Meine Frau.“ Wen nicht? „Wladimir Putin – einmal reicht.“

Nicht nur dafür gab es zum Schluss für Ulrich Deppendorf stehende Ovationen und lang anhaltenden Applaus. Frank Kirschstein

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