Ukrainerin (16) bei Familie in Neuss aufgenommen Die erste Weihnacht ohne Mama

Neuss · Während ihre Mutter in der Ukraine Menschen und Tiere rettet, führt Tochter Diana (16) in Neuss ein Leben in Sicherheit. Aufgenommen wurde sie von Babette Terveer. Nun stehen emotionale Tage an.

80 Tage lang lebte Diana (16) alleine in Charkiw, bevor sie nach Neuss geholt wurde.

80 Tage lang lebte Diana (16) alleine in Charkiw, bevor sie nach Neuss geholt wurde.

Foto: Simon Janßen

Die Wohnung, in der sie einst lebte: zerstört. Die Schule, die sie einst besuchte: zerbombt. Ihre Freunde, die sie früher täglich sah: leben mittlerweile in ganz Europa verteilt. Noch immer leidet die 16-jährige Diana unter Schlafstörungen ob der traumatischen Erlebnisse, die sie in der ersten Jahreshälfte hautnah miterleben musste. Es ist ein extremer Kontrast, den die aufgeweckte Jugendliche in diesen Wochen erlebt. Das Haus an der Neukirchener Straße 60 in Neuss ist festlich geschmückt. Der Geruch der Weihrauch-Duftkerzen steigt in die Nase. Es herrscht Frieden.

Um zu verstehen, wie die 16-Jährige den Weg aus der Ukraine nach Neuss gefunden hat, muss man die Zeit etwa ein halbes Jahr zurückdrehen: Es ist Juni. In der Ukraine tobt bereits seit Monaten der russische Angriffskrieg. Menschen sterben, Häuser werden zerstört. In einer Wohnung in der Millionenstadt Charkiw sitzt Diana alleine und wird immer wieder von Explosionen aufgeschreckt. Nachts schläft sie auf dem Flur, weil es dort sicherer ist. Ihre Mutter Julia (42) steckt zu dieser Zeit in Kiew fest, kommt aus der ukrainischen Hauptstadt einfach nicht weg. Julia arbeitet als Tierschützerin für die Organisation „Animal Rescue“ in Charkiw und rettet unter Gefahr ihres eigenen Lebens Menschen und Tiere aus den Trümmern. 80 Tage lang harrt ihre Tochter in der Wohnung aus, als ein Kontakt aus Neuss eine helfende Hand reicht.

Babette und Tom Terveer haben Diana aufgenommen. „Wichtig ist, dass sie in Sicherheit ist“, sagt Babette Terveer.

Babette und Tom Terveer haben Diana aufgenommen. „Wichtig ist, dass sie in Sicherheit ist“, sagt Babette Terveer.

Foto: Simon Janßen

„Ich habe die Angst der Mutter deutlich gespürt“, erinnert sich Babette Terveer, Vorsitzende des Vereins „Notpfote Animal Rescue Düsseldorf“, zudem Leiterin des Neusser Federheims und Tierheims in Dormagen. Bereits kurz nach Ausbruch des Krieges arbeitet sie eng mit den ukrainischen Kollegen zusammen, sie organisieren Hilfstransporte, vermitteln Tiere – retten Leben. Es entsteht der Kontakt zu Julia aus Charkiw, die über das Schicksal ihrer Tochter berichtet. Emotional berührt bietet Babette Terveer der besorgten Mutter an, ihre Tochter aus dem Kriegsgebiet zu holen und bei sich in Neuss aufzunehmen. Die Mutter willigt ein. Doch der Aufenthalt in Neuss wird länger als erwartet. Aus Tagen werden Wochen, aus Wochen werden Monate.

Dianas Mutter Julia ist in der Ukraine im Hilfs-Einsatz.

Dianas Mutter Julia ist in der Ukraine im Hilfs-Einsatz.

Foto: Animal Rescue

Nun steht das erste Weihnachtsfest vor der Tür, das Diana ohne ihre Mama erlebt. Eigentlich war es immer ihr Lieblingsfest, doch in diesem Jahr liegt ein dunkler Schatten über den Festtagen – die in der orthodoxen Kirche eigentlich erst am 6. und 7. Januar gefeiert werden. Täglich telefoniert sie mit ihrer Mutter, nicht selten wird es emotional. Zwar versuchen Babette Terveer und ihr Mann Tom, Diana auch kulinarisch ein Gefühl heimatlicher Wärme zu vermitteln (zum Beispiel mit den klassischen Teigtaschen „Pierogi“), „sie liebt aber auch deutsches Essen“, sagt die Tierschützerin. Auch weihnachtliches Gebäck wie Lebkuchen und Plätzchen haben es der 16-Jährigen angetan, auch ein Glühwein darf es mal sein. Doch da Integration nicht nur über die Kulinarik funktioniert, absolviert Diana ein straffes Lernprogramm. Morgens paukt sie zunächst Deutsch im BBZ Dormagen, am Nachmittag steht dann Online-Unterricht in ihrer früheren Schule an. Die Lehrer unterrichten weiter. Schließlich würde Diana im Mai kommenden Jahres eigentlich ukrainisches Abitur machen.

Wie lange Babette Terveer Diana noch bei sich haben wird, hängt vom Verlauf des Krieges ab. „Wichtig ist, dass sie in Sicherheit ist“, sagt sie.

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