Theatergruppe in Neuss Eine „verstörend-heitere“ Zukunftsvision

Neuss · Nach zwei Jahren Corona-Zwangspause inszeniert die am Marie-Curie-Gymnasium beheimatete Theatergruppe „poco*mania“ um Axel Mertens eine „Hypno-Dystopie“ auf hoher See. Der „Stoff“ wurde gemeinsam entwickelt.

 Für die Premiere proben (v.l.) Wanja Schäfer, Ronja Rhode, Paula Wetten, Nadine Scholz, Lisa-Marie Rotten und Nick Grebe.

Für die Premiere proben (v.l.) Wanja Schäfer, Ronja Rhode, Paula Wetten, Nadine Scholz, Lisa-Marie Rotten und Nick Grebe.

Foto: Wolfgang Walter

Unruhig schaukelt das kleine Floß auf den Wellen. An Bord des hastig zusammengezimmerten Gefährts sitzen und stehen vier junge Frauen. Die Stimmung ist gereizt – kein Wunder, denn ihr Untergang scheint nah. „Wir sind komplett am Arsch! Das ist ‘ne echte Sintflut hier“, schreit eine von ihnen.

So düster wie zu Beginn ihres neuesten Stücks „So we keep on waiting – eine Hypno-Dystopie“ ist die Atmosphäre in der Theatergruppe „poco*mania“ eher selten – ganz im Gegenteil. „Mir gefällt es, auf der Bühne zu stehen. Außerdem ist die Stimmung bei den Proben gut, jeder hat Lust zu spielen“, sagt die 15-jährige und damit jüngste „Pocomanin“ Nadine Scholz. Sie besucht wie zwei weitere Mitglieder des Ensembles das Marie-Curie-Gymnasium (MCG) auf der Jostenallee. In dem Nordstadt-Gymnasium ist die Theatergruppe seit 2019 beheimatet. „Wir wollen Spaß haben, aber gleichzeitig auf der Bühne gutes Theater abliefern“, sagt Ensemblemitglied Ronja Rhode, die das Marie-Curie bis 2020 besuchte und der kreativen Gruppe treu geblieben ist.

Den Stoff für das neue Stück, eine nach eigenen Informationen „abgedrehte Hypnose-Show“, haben alle aktuell zehn Ensemble-Mitglieder gemeinsam entwickelt. In dem „Erfahrungstheater“, wie Leiter Axel Mertens sein Genre bezeichnet, vermitteln die jungen Akteure auf ihren Erfahrungen basierend einen angesichts von Ukraine-Krieg, Klima-Krise und Corona-Pandemie ziemlich düsteren Blick auf eine bedrohliche Zukunft, mit selbst komponierter Live-Musik und Show-Elementen. „Die Idee für das Programm hat uns die Flutkatastrophe im Sommer 2021 geliefert“, sagt Axel Mertens. Also spielt sich die Handlung auf dem Wasser ab. Die Kulisse ist minimalistisch, der Handlungsraum begrenzt. Das auf einem Lkw-Reifen schaukelnde Floß hat die Gruppe, der auch die Musiker und MCG-Schüler Nick Grebe (Keyboard) und Wanja Schäfer (Ukulele) angehören, aus Europaletten selbst gebaut. Während der wilden Floßfahrt wird viel geredet, über Weltpolitisches, aber auch über Ängste und Sehnsüchte der jungen Generation; man spürt Angst und Verzweiflung, aber auch ausgelassene Freude – und die Hoffnung auf Rettung in letzter Sekunde. „Unser Theater ist in jedem Fall politisch, und gleichzeitig persönlich. Jedes Mitglied bringt beim Entwickeln der Handlung die eigenen Erfahrungen und Gefühle in die Dialoge mit ein“, erklärt Axel Mertens, der unter anderem als Lehrer für Theater am Marie-Curie-Gymnasium arbeitet. Auf eine „Moralpredikt“ oder einen Appell wartet der Zuschauer trotz der politischen Agenda vergeblich. „Wir glauben, dass unsere Art von Theater eher Fragen stellt und Stimmungen einfängt als Antworten zu liefern“, erklärt der Kopf von „poco*mania“.

Zwei Jahre lang hatte die Theatertruppe, die 2019 von Grevenbroich ans Neusser Marie-Curie-Gymnasium wechselte, corona-bedingt keinen Auftritt; am Mittwoch ist Generalprobe für das neue Stück, das am Wochenende in der Aula des Nordstadtgymnasiums und am 20. Mai im Rheinischen Landestheater Neuss (RLT) innerhalb des Theaterfestivals „Your Stage“ aufgeführt wird (siehe Kasten). „Zweimal haben wir eine Produktion begonnen, die wir aufgrund der Lockdowns absagen mussten“, sagt Axel Mertens, der „poco*mania“ 2002 in Grevenbroich als Schultheater gegründet hat. Coronabedingt sei sein Ensemble von rund 25 auf aktuell zehn geschrumpft. Der Name ist auch beim aktuellen Stück Programm: ein bisschen Manie – also Leidenschaft, Sucht, krankhafte Veränderungen des Gemüts, Erregung, Leidenschaft und Bewegungsdrang spürt der Zuschauer von der ersten Sekunde an.

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