Tag der seelischen Gesundheit Vom Betroffenen zum Sucht-Helfer

Neuss · Zum Tag der seelischen Gesundheit stellt sich das St.-Alexius-Krankenhaus mit Veranstaltungen vor. Unter anderem können Besucher den Beruf der Genesungsbegleiter kennenlernen, die einst ebenfalls Sucht-Erfahrungen machten.

Frank Reichartz war jahrelang Alkoholiker. Seinen eigenen Parkettlegerbetrieb hat er „versoffen“, wie er heute sagt. Auch seine Beziehung ist an der Sucht gescheitert, teilweise lebte Reichartz auf der Straße. Heute ist der 56-jährige Genesungsbegleiter im St.-Alexius-Krankenhaus. „Ich bin seit sieben Jahren trocken“, sagt er. Als Experte in der eigenen Krankheit begleitet er Patienten, die heute ähnliches erleben wie er einst selbst. Mit seiner Erfahrung hilft er Alkoholikern, den Weg aus der Krise zu finden. Zum Tag der seelischen Gesundheit informiert die Psychiatrie über ihre Arbeit. Für Samstag lädt das Krankenhaus zum Tag der offenen Tür ein, auch die Genesungsbegleiter haben einen eigenen Stand.

„In Neuss sagt man heute liebevoll ‚ich gehe ins Alex‘, wenn jemand zu uns kommt“, sagt Reichartz stolz. Die Psychiatrie sei in der Gesellschaft angekommen. Die Ärzte im „Alex“ laufen heute nicht mehr in weißen Kitteln durch die Gänge. Heute sei die Therapie offener, individueller und näher am Patienten dran, so Reichartz.

Diesen Wandel kennt sein Kollege Uwe Cunjac nur zu gut. Als er vor 30 Jahren seine Therapie machte, war die Behandlung in Deutschland ganz anders als heute. „Menschen wurden am Bett festgeschnallt, damit das Personal seine Ruhe hat. Patienten wurden unter Zwang mit Medikamenten versorgt, teilweise bevor eine richtige Diagnose feststand“, berichtet der Aachener. Im Alexius-Krankenhaus gelte bei Medikamenten heute: „So viel wie nötig, so wenig wie möglich.“

Cunjac war früher paranoid-schizophren. Als er Talkshows im Fernsehen schaute, dachte er, dass die Gäste mit ihm direkt sprechen würden. Er hatte Wahnvorstellungen, dachte er sei Jesus. „Und damit bin ich nicht alleine“, weiß der Genesungsbegleiter. Die sogenannte Ex-In-Ausbildung machte er am Krankenhaus. Die Abkürzung steht für „Experienced Involvement“, übersetzt heißt das in etwa „Experte aus Erfahrung“. Die Ausbildung dauert ein Jahr und beinhaltet 30 Kurse und zwei Praktika. „Man kann es berufsbegleitend machen, das ist aber zeitlich sehr straff“, so Cunjac.

Vier solcher Experten arbeiten im Neusser Krankenhaus. Für ein Krankenhaus mit 350 Betten sei das eher ungewöhnlich, so Sabine Jokl, zuständig für Marketing und Kommunikation im Unternehmen. Als Bindeglied zwischen Patienten und Ärzten seien Genesungsbegleiter ein wichtiger Teil der Psychiatrie. Es hat sich einiges geändert in den letzten Jahren, sowohl in den Krankenhäusern als auch in der Gesellschaft. „Dafür wollen wir mit unseren Veranstaltungen sensibilisieren“, so Jokl. Damit Neusser Patienten weiterhin liebevoll sagen können: „Ich gehe ins Alex.“

Das Programm startet am Mittwoch um 18 Uhr mit der Ausstellung „Teilstücke“ von der Künstlergruppe Kulturforum Alte Post. Für Firmen und Unternehmer, die im Alltag unter besonderem Stress leiden, gibt es am Donnerstag um 19 Uhr einen Vortrag. Anmeldungen dazu sind unter l.ebenfeld@ak.neuss.de einzureichen.

Die Woche der seelischen Gesundheit endet am Samstag mit einem Tag der offenen Tür am Krankenhaus. Ab 11 Uhr gibt es Informationen zu unterschiedlichen Therapien und Behandlungsmethoden, sowie Live-Musik und Unterhaltung für die jüngsten Gäste.

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