Corona-Krise in Neuss Das Leid der Bedürftigen

Neuss · Die Corona-Pandemie trifft nicht nur die Wirtschaft, sondern auch diejenigen, die ohnehin mit finanziellen Problemen kämpfen. Vor den Spendenausgaben bilden sich lange Schlangen. Eine Mutter berichtet über ihre Erfahrungen.

 Im Offenen Treff Barbaraviertel wird bei der Lebensmittelausgabe wegen der Corona-Pandemie mit Mundschutz gearbeitet. Die Nachfrage nach Hilfe ist groß.

Im Offenen Treff Barbaraviertel wird bei der Lebensmittelausgabe wegen der Corona-Pandemie mit Mundschutz gearbeitet. Die Nachfrage nach Hilfe ist groß.

Foto: Andreas Woitschützke

Es war ein trauriger Rekord, der vor der „Offenen Tür Barbaraviertel“ jetzt gebrochen wurde. Rund 250 bedürftige Personen mussten am Standort an der Heerdter Straße versorgt werden – an nur einem Tag. In der Einrichtung im Neusser Norden können sich Menschen, die finanziell nicht über die Runden kommen, mit Produkten des täglichen Bedarfs eindecken. Lange Schlangen gibt es derzeit vor allem auch, weil Bedürftige nicht mehr zur Tafel gehen können, die wegen der Corona-Pandemie geschlossen ist. Die Schicksale, die den täglichen Dienst in Anspruch nehmen, sind breit gefächert: Vom Hartz-IV-Empfänger bis hin zum Kurzarbeiter, der durch das abgespeckte Gehalt nun ebenfalls Hilfe in Anspruch nehmen muss: Lebenseinschnitte, die in der aktuellen Diskussion um medizinische Versorgung, Kontaktsperren und drohende Insolvenzen von Unternehmen unterzugehen scheinen. „Bei uns wird niemand abgelehnt“, sagt Einrichtungsleiter Niels Elsässer. Dennoch fühlen sich viele seiner „Klienten“ allein gelassen.

Wie es sich anfühlt, wenn die Corona-Pandemie die eigene Grundversorgung so stark einschränkt, dass es ohne Hilfs-Initiativen einfach nicht funktionieren würde, hat eine Neusserin jetzt im Gespräch mit unserer Redaktion berichtet. Die alleinerziehende Mutter eines zweieinhalb Jahre alten Sohnes fand nach einem Burnout nie wieder richtig ins Berufsleben zurück, muss mittlerweile Arbeitslosengeld II beziehen. Die ohnehin knapp bemessene finanzielle Unterstützung entwickle sich durch das Coronavirus zu einem noch größeren Problem. So seien viele günstige Lebensmittel und Hygieneartikel in vielen Läden nicht mehr erhältlich. „Für mich macht es aber einen Unterschied, ob ich eine Packung Nudeln für 40 Cent oder für 1,29 Euro kaufe“, sagt die Mutter, die anonym bleiben möchte (Name der Redaktion bekannt). Beim Jobcenter habe sie bereits um ein Darlehen gebeten, um die erhöhten Kosten abfedern zu können. „Der wurde jedoch abgelehnt, mir wurde gesagt, dass das Arbeitslosengeld II ausreiche“, sagt die Neusserin. Die Folge: Ihre letzte Stromrechnung konnte sie nur zum Teil bezahlen und ihre Handyrechnung gar nicht. „Zum Glück werden derzeit keine Mahngebühren erhoben“, sagt die Mutter.

 Lange Schlange: Vor der Lebensmittelausgabe ist Geduld gefragt.

Lange Schlange: Vor der Lebensmittelausgabe ist Geduld gefragt.

Foto: Andreas Woitschützke

Eine Sprecherin des Jobcenters teilt auf Nachfrage mit, dass die Gewährung eines Darlehens an rechtliche Vorgaben gebunden ist. Bei der alleinerziehenden Mutter aus Neuss sei die Absage wohl darin begründet, dass die gesetzlichen Voraussetzungen nicht gänzlich erfüllt wurden. „Selbstverständlich hat die betroffene Kundin die Möglichkeit, die Entscheidung mittels eines Widerspruchs überprüfen zu lassen“, so die Sprecherin.

Die Mutter würde sich auch mehr Hilfe von der Stadt wünschen, doch die hat beim Thema Finanzen keine Handhabe, wie Michael Theven, Leiter des Neusser Sozialamtes, erklärt. Man verweise jedoch intensiv an die verschiedenen Hilfsangebote und Initiativen. Die Stadt hat zum Beispiel auch eine Hotline eingerichtet, unter der sich ältere Menschen und Menschen mit Vorerkrankungen melden können, wenn sie etwa bei Einkäufen oder Apothekengängen Hilfe benötigen. Auch für die Gruppe der Wohnungslosen haben die Sozialverwaltung der Stadt und die Caritas ein Versorgungsnetz geknüpft. Gute Nachrichten für Bedürftige: Laut Theven wird die Neusser Tafel am 21. April wieder öffnen.

Der Neusser Rechtsanwalt Roland Sperling, der eine Kanzlei in Düsseldorf hat, kennt die Leiden von Hartz-IV-Empfängern gut. Auch einige seiner Klienten würden dieselben Befürchtungen äußern wie die alleinerziehende Mutter aus Neuss: „Ich habe auch von Fällen gehört, in denen versucht wurde, per Eilverfahren einen Härtefallzuschlag vom Jobcenter zu erhalten – ohne Erfolg.“ Erleichterungen gebe es derzeit aber unter anderem für Personen, die wegen akuter Existenz-Not Hartz IV beantragen müssen. So werde das eigene Vermögen für einen Zeitraum von sechs Monaten bei dem Antrag nicht berücksichtigt, und ebenfalls für ein halbes Jahr erfolge keine Aufforderung, die Wohnkosten zu senken. „Dies wird nach Ablauf der Frist allerdings nachgeholt“, sagt Sperling.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort