Schockanruf in Neuss „Mama, ich habe eine Frau tot gefahren“

Neuss · Ein Ehepaar wurde Opfer eines Schockanrufs – der Sohn habe einen Unfall gehabt, doch alles war ein Fake. Die mutmaßliche Betrugsmasche ist nicht gelungen, der Schreck sitzt aber noch tief.

Immer wieder versuchen Betrüger, über das Telefon mittels Schockanrufen an das Geld ihrer Opfer zu kommen. Nicht selten geben sie sich als Polizisten aus.

Immer wieder versuchen Betrüger, über das Telefon mittels Schockanrufen an das Geld ihrer Opfer zu kommen. Nicht selten geben sie sich als Polizisten aus.

Foto: Julian Stratenschulte

Betrüger, die versuchen, über das Telefon an Geld anderer Leute zu gelangen, greifen zu immer ausgefeilteren Methoden. Oft werden dramatische Geschichten ersonnen, weswegen Menschen ihren Angehörigen dringend aus einer schlimmen Notlage helfen und einen bestimmten Geldbetrag überweisen müssten. Immer setzen die Täter dabei auf einen Überrumpelungseffekt bei ihren Opfern, die dann nur allzu oft zahlen. In einem besonders perfiden Fall wurde jetzt auch versucht, ein Ehepaar aus Neuss in diese Situation zu bringen – zwar wurde kein Geld überwiesen, geschockt sind die beiden aber immer noch.

„Mama, ich habe eine Frau tot gefahren“, erklang unter Tränen die Stimme des Sohnes am Telefon, so erzählt es der Neusser Wolf Busch. Angenommen hatte das Telefonat seine Frau, die sich, genau wie er selbst, bis heute noch nicht ganz von dem Anruf erholt hat. Zunächst sei die „Polizei aus Düsseldorf“ am Hörer gewesen, „mit der Schocknachricht, dass unser Sohn einen schweren Autounfall hatte und dabei verschuldet eine junge Frau tötete“, so Busch, der während des Anrufs nicht dabei war. „Daraufhin wurde der Hörer angeblich an unseren Sohn weitergereicht, der den Unfall schwer verletzt und tränenreich bestätigte.“ Das Erschreckende: Die Stimme klang so echt, dass die Mutter des vermeintlichen Unfallverursachers „Stein und Bein“ schwor, es sei tatsächlich ihr Sohn gewesen. Dann habe wieder der falsche Beamte übernommen, der einen Datenabgleich einleitete und darauf hinwies, dass der Sohn in Untersuchungshaft müsse.

Trotz der schockierenden Nachricht stellte die Mutter so viele Nachfragen, dass die Gegenseite irgendwann auflegte, so schildert es Wolf Busch. Der mutmaßliche Versuch, über diesen Anruf an Geld zu gelangen, scheiterte dieses Mal. „Meine Frau rief mich sofort danach an und war immer noch der Überzeugung, dass der Vorfall tatsächlich passiert war – eben weil sie glaubte, die Stimme unseres Sohnes erkannt zu haben. Ich war dann auch völlig fertig, ich habe geschrien.“ Nach einem Anruf beim ahnungslosen Sohn stellte sich allerdings heraus: den Unfall hatte es nie gegeben, der Sohn war Zuhause in seiner Studentenwohnung. „Letztlich ist nichts passiert und trotzdem möchte ich diese zehn Minuten niemandem wünschen, das war wirklich traumatisch“, so der 55-jährige Vater. „Ich bin absolut erschrocken, wie skrupellos und menschenverachtend diese Täter vorgehen.“

Busch vermutet, dass der Anruf mit Hilfe künstlicher Intelligenz erstellt wurde, dem sogenannten Voice-Cloning, bei dem die Stimme eines beliebigen Menschen täuschend echt durch Technik imitiert werden kann. Dafür genügen schon einige Minuten Audiomaterial der Person als Grundlage. Ob wirklich diese Technik hinter dem Anruf steckte, kann nicht mehr rekonstruiert werden. „Die Polizei Düsseldorf, die ich danach ebenfalls kontaktiert habe, sagte mir, dass es auch keine Chance gebe, aufzuklären, wer hinter dem Anruf stecke, da die Täter oft aus dem Ausland anrufen und sogar Nummern der Polizei verwenden“, so Busch.

Auch die Polizei in Neuss kann bestätigen, dass Kriminelle immer wieder mittels Schockanruf an Geld und Wertgegenstände ihrer Opfer gelangen wollen. Dass in dem geschilderten Fall das Voice-Cloning verwendet wurde, „lässt sich nach derzeitigem Stand jedoch hier nicht feststellen“, so Sprecherin Jennifer Stracke. „Bei diesem Deliktsbereich handelt es sich in der Regel um ein auf Masse ausgelegtes Vorgehen, Voice-Cloning wäre dementsprechend auch sehr aufwendig. Die Täter arbeiten eher mit den Informationen, die sie den Angerufenen im Gespräch entlocken. Da sie dabei sehr geschickt vorgehen, wird das oft nicht gleich bemerkt.“ Grundsätzlich, so versichert sie noch einmal, würde die Polizei in solch einem Fall wie im geschilderten, auch nie anrufen, sondern persönlich vorbeikommen.

Wolf Busch, der am Beispiel seines Falles andere vor ähnlichen Anrufen warnen will, hat für sich und seine Familie eine Vorsichtsmaßnahme ergriffen. „Noch am gleichen Tag verabredeten wir mit unseren Liebsten Codeworte, denn leider kann man sich selbst auf die Stimmen engster Personen in dieser schönen neuen Welt nicht mehr verlassen.“ Absprachen im Vorfeld seien auch aus Sicht der Neusser Polizei sinnvoll, „ein Codewort abzusprechen kann dabei natürlich eine Variante sein – allerdings besteht die Gefahr, dass es im Gespräch geschickt entlockt werden könnte. Besser ist es, den Angehörigen deutlich zu machen, dass weder Polizei, Staatsanwaltschaft oder Gericht solche Forderungen telefonisch stellen würden“, so Jennifer Stracke. Und immer gelte: „Im Zweifelsfall die 110 wählen.“

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