Ausstellung in Neuss Rolf Geissler zeigt „Ätzradierungen in ätzenden Zeiten“

Neuss · Die Corona-Pandemie bestimmt die aktuellen Arbeiten von Rolf Geissler. Auch wenn das Schützenfest ausfällt, lädt der Grafiker zu seiner traditionelle Atelier-Ausstellung. Er verrät, welche Rolle Humor für ihn spielt und warum er Radierungen so schätzt.

 Ein Mann setzt an, um das Pendel in Gang zu bringen. Es lässt sich nur erahnen, welche Kettenreaktion er auslösen wird. „Rien ne va plus“ – also „nichts geht mehr“, sagt Rolf Geissler über diese Arbeit.

Ein Mann setzt an, um das Pendel in Gang zu bringen. Es lässt sich nur erahnen, welche Kettenreaktion er auslösen wird. „Rien ne va plus“ – also „nichts geht mehr“, sagt Rolf Geissler über diese Arbeit.

Foto: Natalie Urbig

Es erinnert an Newtons Pendel – doch statt Kugeln sind es Virusähnliche Bälle, die dort an den Fäden baumeln: Ein Mann, der offensichtlich selbst von einem solchen Erreger befallen ist, holt aus, um die Konstruktion in Schwung zu bringen. Wie es weitergeht, verrät die Radierung von Rolf Geissler zwar nicht. Doch kann der Betrachter die Folgen erahnen, sieht die Kettenreaktion förmlich vor sich. „Spiel mit offenem Ende“ ist unter dem Bild zu lesen. „Rien ne va plus“, also „nichts geht mehr“, sagt der Grafiker über sein Werk.

Jedes Jahr lädt er vor dem Schützenfest in sein Atelier an der Büttgerstraße. Zwar fällt das Fest coronabedingt auch in diesem Jahr aus, doch Geissler hält an der Tradition fest und zeigt am kommenden Wochenende seine neuen Arbeiten. In den vergangenen Monaten ist eine Radierserie entstanden, in der die Pandemie allgegenwärtig ist. „Ich grüße Sie. Ätzradierungen zu ätzenden Zeiten“, heißt es so in seiner Ausstellungs-Einladung. Der Titel lässt die Art von Humor erahnen, die den Betrachter in Geisslers Werken erwartet: Mal bissig, mal mit Ironie und Witz bildet der Grafiker verschiedene Ereignisse der Corona-Pandemie ab. Zu sehen ist etwa eine missglückte Begrüßung mit dem Ellbogen, ein Maultrommelspieler mit Auftrittsverbot, trauernde Schützen und Analysten, die im Nebel stochern.

In einer weiteren Radierung geht Geissler der Frage nach, welche Sportarten nun noch ausgeführt werden dürfen. „Boxer dürfen weitermachen, sie tragen Handschuhe, einen Mundschutz und wollen nahen Kontakt vermeiden“, sagt der Grafiker und schmunzelt. Zu bedauern sei dagegen der Golfspieler, der sich fragt, an welchem Loch im Leben er gerade steht. „Manche Dinge“, so sagt der Grafiker, „kann man wohl nur mit einem Lachen ertragen. Das Dramatische wird durch den Humor gebrochen.“

 Rolf Geissler schätzt die Nuancen einer Radierung.

Rolf Geissler schätzt die Nuancen einer Radierung.

Foto: Natalie Urbig

Zwar speise sich der Inhalt in seinen Radierungen aus Erlebtem. Doch entziehen sie sich einer Wertung: „Ich bin kein Politiker und kein Virologe. Darum soll es auch gar nicht gehen“, erklärt Geissler. Für ihn zähle in erster Linie die Form, also die Art, wie das Werk entstanden ist. Und mit seinen Radierungen hat Geissler sich für eine aufwendige Technik entschieden – erst fertigt er eine Zeichnung an. Deren Linien werden später in eine Lackschicht geritzt. Säure sorgt dafür, dass sich die Linien in die Druckplatte einätzen. Wie lange er für eine Radierung braucht, kann Geissler nicht sagen, je nach Format brauche er für eine Arbeit bis zu einem halben Jahr. Doch der Grafiker schätzt die Technik: „Die Nuancen werden vielschichtiger als bei einer Zeichnung.“ Den direkten Vergleich zwischen beiden Varianten bietet Geissler in seiner Ausstellung. Auch Fehldrucke stellt er aus, die er im Stile eines Stundenbuchs kunstvoll übermalt hat. Und ein weiterer Vorteil der Radierungen ist, dass sie sich vervielfältigen lassen: „Die Auflage liegt bei zwölf“, sagt er.

 „Sie ließen die Masken fallen“ ist eine der Radierungen, die in der Ausstellung von Geissler zu sehen ist.

„Sie ließen die Masken fallen“ ist eine der Radierungen, die in der Ausstellung von Geissler zu sehen ist.

Foto: Natalie Urbig
 Rolf Geissler

Rolf Geissler

Foto: Natalie Urbig

Seine Werke in der Schau sind nicht chronologisch geordnet, doch lassen sich die unterschiedlichen Motive gut den einzelnen Pandemie-Phasen zuordnen. Um alle Anspielungen erfassen zu können, ist es ratsam, etwas Zeit für die Betrachtung mitzubringen. Denn wer genau hinsieht, wird in Geisslers Arbeiten immer wieder Referenzen – sei es durch Zitate oder Motivik – zu Klassikern der Weltliteratur oder Musik finden. Da wäre etwa der Auerbachskeller aus Goethes Faust, der zum Infektionsherd wird, ein anderes bezieht sich auf Bachs Motette „Der Geist hilft unsrer Schwachheit auf.“

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