Richter Heiner Cöllen ist im Ruhestand Das letzte Urteil

Neuss · Nach rund 40 Jahren als Richter hat sich Heiner Cöllen (66) jetzt in den Ruhestand verabschiedet. Eine Geschichte über einen Eisenbahn-Romantiker, der nicht so knallhart ist, wie sein Ruf, der ihm vorauseilt.

Heiner Cöllen war noch ein unerfahrener Richter, als er jenen Fall bearbeitete, der ihm auch Jahrzehnte später noch im Gedächtnis bleiben sollte. Ende 20 war er damals und in der Strafkammer des Landgerichtes Düsseldorf aktiv. In einem Hochhaus am Rheinpark-Center wurde eine Prostituierte brutal ermordet. Ihre Leiche fand man an der Decke hängend – daneben baumelte ihr toter Pudel. „Das war besonders grausam“, erinnert sich Cöllen mit leiser Stimme.

 Heiner Cöllen vor seinem langjährigen Arbeitsplatz, dem Amtsgericht Neuss. Der 66-Jährige ist jetzt in Ruhestand. Er möchte sich mehr Zeit für die Familie nehmen.

Heiner Cöllen vor seinem langjährigen Arbeitsplatz, dem Amtsgericht Neuss. Der 66-Jährige ist jetzt in Ruhestand. Er möchte sich mehr Zeit für die Familie nehmen.

Foto: Woitschützke, Andreas (woi)

Heute ist der Mann mit dem kräftigen Händedruck und dem Kurzhaarschnitt 66 Jahre alt. Von Unerfahrenheit kann keine Rede mehr sein. In den vergangenen knapp 40 Jahren als Richter sah er sich mit sämtlichen Emotionen konfrontiert. Tausende Schicksale, die er analysierte, verfolgte – und mit beeinflusste. Erleichterung, Hoffnung, Trauer, Wut, Tod. Im Laufe der Jahrzehnte lernte Cöllen, damit umzugehen.

Wenn sich seine mittlerweile fünf Enkelkinder an Karneval darum streiten, wer die beiden Richter-Roben von Opa Heiner tragen darf, dann hat das einen Grund. Denn Opa Heiner braucht die schwarzen Gewänder nicht mehr. Am Dienstag hatte der Jugendrichter seinen letzten Arbeitstag. Mit dem Mitternachts-Uhrschlag war er offiziell Ruheständler. Sein letzter Fall: 20 Arbeitsstunden für ein junges Mädchen wegen Schwarzfahrens. An jenem letzten Sitzungstag gastierten Familie und Freunde als Zuschauer in Saal 103.

„Hände falten und Mund halten würde Grabesruhe bedeuten. Die ist nicht beabsichtigt“, sagt der Neusser nüchtern. Das Büro in der zweiten Etage des Amtsgerichtes mit der Nummer 234 ist leer. Schon bald soll es für Nachfolgerin Katharina von Kanitz renoviert werden.

Wenn Cöllen die vergangenen Jahrzehnte Revue passieren lässt, zitiert er immer wieder den Kirchenlied-Titel „Wer nur den lieben Gott lässt walten“. Ein Satz, der sich wie ein roter Faden durch sein Leben zieht. Ein Satz, der dem stämmigen Mann, der den Eindruck erweckt, als könne ihn nichts erschüttern, auch in schweren Stunden Kraft gab.

In Gedanken reist Cöllen zehn Jahre zurück, als er Morddrohungen von einem Mann erhielt, den er zu mehreren Monaten Gefängnis verurteilt hatte. Cöllens Familie bekam Polizeischutz. „24 Stunden lang fuhr ein Streifenwagen jede halbe Stunde an unserem Haus vorbei. Wie erklärt man sowas seiner Frau und den Kindern?“, fragt der 66-Jährige, wohl wissend, dass auf seine Frage keine Antwort folgen wird.

Nach so vielen Jahren – unter anderem als Zivilrichter, Erwachsenenstrafrichter und zuletzt als Jugendrichter – kommt das Image von alleine. Cöllen weiß um seinen Ruf. Böse Zungen nennen es knallhart, Cöllen nennt es „dem Einzelfall gerecht werdend urteilen“. Das habe er in all den Jahren stets versucht. Nicht anecken? Der Freund aller sein? Das gehört nicht zu seiner Persönlichkeit. „Trotzdem versuche ich, praktizierender Christ zu sein“, betont er. Ein Gegensatz zu seinem Beruf? Keineswegs. Ein Spagat? Gewiss. „Wenn ich dem Lkw-Fahrer den Führerschein entziehe oder den Familienvater ins Gefängnis stecke, ist das objektiv nichts Gutes“, sagt Cöllen. Jedoch habe er sich dem Gesetz verschrieben und müsse die Gesellschaft vor manchen Menschen schützen. Die Richterrobe riecht wohl noch nach Cöllens Rasierwasser, dennoch klingt es nach einem vollendeten Kapitel, wenn er sagt: „Ich habe niemals bewusst Fehlentscheidungen getroffen.“

Es ist 60 Jahre her, als der kleine Heiner auf Stellwerken herum klettert. Vater Signal- und S-Bahn-Planer, Onkel Lokomotiv-Führer. Cöllen wächst an einem Gleisdreieck auf, umgeben von mächtigen Dampfloks. Sein Hängeschloss der Eisenbahn-Romantik hängt immer noch am Brückengeländer. Zwar hat Cöllen sämtliche Sammler-Objekte im Internet versteigert, doch weiterhin studiert er Fahrpläne der Deutschen Bahn oder filmt spezielle Zugtypen.

Seine Expertise in Sachen Schienenverkehr führt Heiner Cöllen wohl auch zu seiner nächsten Aufgabe. So wird er unter anderem die Kreisverkehrsgesellschaft auf örtlicher Ebene leiten und seine Dienste als Aufsichtsratsvorsitzender bei der Regiobahn anbieten. Die Wahl ist im September. Auch als sachkundiger Bürger im Umweltausschuss der Stadt Neuss und in den CDU-Parteivorständen – sowohl auf städtischer als auch auf Kreisebene – möchte er weiterhin aktiv sein. „Ich habe ja jetzt Zeit“, sagt er.

Die möchte er in Zukunft vor allem mit seiner Familie verbringen, die in den Jahren des Öfteren zu kurz gekommen sei. Mit seiner Frau wird er viel reisen, Dinge nachholen, die bislang auf der Strecke geblieben sind. Ein „Regierungswechsel“, wie Cöllen es schmunzelnd nennt, stünde zuhause aber nicht an. An bestehenden Strukturen wird nicht gerüttelt – auch da ist Cöllen konsequent.

Beim Blick auf seinen Lebenslauf liegt die These nicht fern, dass führende Ämter in Cöllens DNA verankert sind. Egal ob als Pfarrjugendführer (später dann im Kirchenvorstand) oder bei den Maltesern, deren Rettungsdienst er mit aus der Taufe hob. Ihm geht es dabei nicht um Macht, sondern um Mitgestaltung. Die Zuschauer-Rolle passt eben nicht zu Heiner Cöllen. Die Rolle des Schuldigen sowieso nicht.

Oder etwa doch? Schließlich gibt es da eine kleine Anekdote, die Cöllen mit verschmitztem Grinsen preisgibt: Abiturklassenfahrt, Rückreise von Athen nach Neuss im legendären Hellas-Express. Der leidenschaftliche Eisenbahnfan und Sammler Heiner fasst in Jugoslawien den Entschluss, Schilder im Waggon abzuschrauben und einzustecken. Zu seinem Unglück wird er dabei von einem Geheimdienstmitarbeiter in Zivil beobachtet. Trotz heftiger Standpauke vom Studienrat geht die Sache glimpflich aus. „Ich musste die Schilder nur wieder anschrauben“, sagt Cöllen. Eine Richterrobe ist eben keine weiße Weste...

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