Schuh-Schlüssel-Bar in Neuss Reparieren statt Aussortieren

Gnadental · Burhan Sahin ist in Gnadental eine Institution. Er genießt den Ruf, alles reparieren zu können. Über die oft angeprangerte „Wegwerfgesellschaft“ kann er nur den Kopf schütteln. Ein Besuch.

 Burhan Sahin steht vor seiner „Schuh-Schlüssel-Bar“ am Berghäuschensweg. Seit rund 20 Jahren hat er dort seinen eigenen Ein-Mann-Betrieb.

Burhan Sahin steht vor seiner „Schuh-Schlüssel-Bar“ am Berghäuschensweg. Seit rund 20 Jahren hat er dort seinen eigenen Ein-Mann-Betrieb.

Foto: Janßen/Simon Janßen

Wer das rot-weiße Schild über der großen schweren Tür liest, der könnte auf die Idee kommen, auf einem der Leder-Hocker Platz zu nehmen und sich einen Gin Tonic zu bestellen. Bekommen wird man aber höchstens einen Kaffee oder ein Sprudel-Wasser. Denn hinter dem Namen „Schuh-Schlüssel-Bar“ verbirgt sich kein Nachtklub.

Im Inneren des hüttenähnlichen Gebäudes am Berghäuschensweg führt Burhan Sahin seit rund 20 Jahren seinen Ein-Mann-Betrieb, genießt den Ruf, nahezu alles reparieren zu können. In Gnadental ist er deshalb eine Institution und wird auch von vielen Schützen geschätzt. „Ein Flugzeug könnte ich vielleicht nicht reparieren“, sagt er nach kurzem Überlegen. Versuchen würde er es aber trotzdem. Auch Gleit- und Fallschirme waren schon unter seiner Jahrzehnte alten Nähmaschine. Schlüssel und Schuhe sind für den gelernten Schuster, Schlosser und Chemiker aber natürlich Alltagsgeschäft.

Stundenlang könnte Sahin über die oft angeprangerte „Wegwerfgesellschaft“ philosophieren. Über Sollbruchstellen in Schuhen, die eingebaut werden, damit möglichst schnell nachgekauft wird. Der schnelle Konsum überstrahle oft die Bereitschaft, Dinge wieder aufzuwerten und ihnen so neues Leben einzuhauchen.

„Mein Opa hat gesagt, dass ich mit den Augen klauen kann“, sagt der 46-Jährige schmunzelnd. Mit Diebstahl hat das aber nichts zu tun, vielmehr mit einer guten Auffassungsgabe. Bereits als Jugendlicher schaute er einem Freund seines Vaters über die Schulter, entschied sich dann, denselben beruflichen Weg einzuschlagen. Mittlerweile zählen auch die Neuss-Düsseldorfer Häfen zu seinen Kunden.

Nahezu täglich kommen Menschen durch die rote Tür, die Sahin ihre alten Liebhaber-Stücke anvertrauen. „Oft wird für die Reparatur mehr ausgegeben, als der Gegenstand ursprünglich gekostet hat“, sagt der Neusser.

Wer Sahin einige Minuten über Schuhe sprechen hört, der wird den nächsten Kauf anders angehen, so viel steht fest. „Es herrscht viel Ahnungslosigkeit. Viele Menschen achten nur noch auf die Marke und nicht mehr auf die Qualität. Wenige junge Leute wissen noch, was echtes Leder ist.“ Sahin schlägt oft die Hände über dem Kopf zusammen, wenn er zum Beispiel in China hergestellte Schuhe kleben muss und sich das Material verfärbt. „Die Giftstoffe, die dort verwendet werden, sind nicht definierbar“, sagt der gelernte Chemiker.

Beim Thema Schuhe hat der 46-Jährige im Laufe der Jahre zwei Arten von Schützen festgestellt. Diejenigen, die ihre Schuhe vor dem Schützenfest reparieren lassen, und diejenigen, die es erst danach tun. „Die meisten brauchen neue Sohlen. Schließlich marschiert ein Schütze in einer ,Saison’ bis zu 42 Kilometer“, sagt Sahin, der alleine 5000 Haken mit Schlüsseln hat.

Auch an anderer Stelle wird in Neuss versucht, Altes wieder brauchbar zu machen. Wie zum Beispiel im „Repair Café”. Dabei handelt es sich um eine Nachbarschaftsinitiative, die das Reparieren als Alternative zum Wegwerfen fördert. Die Initiatoren organisieren das Repair Café in den Räumen der Volkshochschule im Romaneum an der Brückstraße 1.

Doch nicht alles lässt sich problemlos reparieren. Verklebte Gehäuse bei Elektrogeräten, fest verbaute Akkus in Spielzeug, überteuerte Ersatzteile oder fehlende Reparaturanleitungen verhindern vielfach eine Instandsetzung. Hinzu kommt, dass sich das Flicken im Vergleich zum Neukauf häufig nicht rechnet. Mit vielen ausgedienten Geräten landen jedoch auch wertvolle Rohstoffe im Müll.

Die Verbraucherzentrale NRW rät deshalb dazu, beim Kauf auch auf die Reparierbarkeit von Föhn und Handy zu achten, um Dinge lange nutzen zu können und bei einem Defekt auch nicht gleich aussortieren zu müssen. Das schone den eigenen Geldbeutel, Umwelt und Klima. Reparierbare Elektrogeräte erkennt man zum Beispiel an herausdrehbaren Schrauben.

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