Neusser Woche Karnevalisten und Gastronomen reagieren auf den Krieg gegen die Ukraine Von der Krise berührt, aber nicht beherrscht

Meinung | Neuss · Doch keine Karnevalsparty, doch keine Sitzung, diesmal nicht wegen Corona, sondern wegen des Krieges Russlands gegen die Ukraine. Was für das Leben im Krisenmodus wichtig ist. Ein Kommentar.

 Mit einer Mahnwache wurde in Neuss gegen den Angriff Russlands auf die Ukraine reagiert.

Mit einer Mahnwache wurde in Neuss gegen den Angriff Russlands auf die Ukraine reagiert.

Foto: Andreas Woitschützke

Abgesagt, storniert, gestrichen – die Reaktionen auf den Krieg Russlands gegen die Ukraine ließen nicht lange auf sich warten, nicht nur auf internationalem politischen Parkett, sondern auch im Kleinen: Die Blauen Funken haben ihre Sitzung, eine der ganz wenigen in der Region, abgesagt, Gaststätten wie der Hamtorkrug in Neuss streichen für die kommenden Tage geplante Karnevalspartys, beim Lokalradio NE-WS 89.4 läuft an Altweiber keine Karnevalsmusik, erste Mahnwachen werden organisiert, blau-gelbe Banner, die Farben der ukrainischen Fahne, schmücken Posts und Profilbilder bei Facebook, Instagram, Whatsapp & Co. Ist das angemessen oder überzogen? Die weitaus meisten Menschen, die in den Sozialen Medien reagieren, sind sich sehr einig: Gut gemacht! Angemessen! Respekt! Daumen hoch und Händeklatschen. Krieg in Europa, von Deutschland gerade einmal so weit entfernt wie Flensburg von München, das schockiert zu Recht. Mitgefühl mit den Menschen, die unter dem Angriff Putins leiden, aber auch Sorge um die in der Vergangenheit offenbar fälschlich angenommene große, fast schon als naturgegeben empfundene Stabilität des Friedens in Europa ist ein guter Grund, inne zu halten. Respekt also gegenüber allen, die für sich entscheiden, auf die ganz große Party zu verzichten. Noch mehr Respekt, wenn es Gastronomen sind, die entsprechend handeln. Wäre der Karneval für sie doch zumindest eine kleine Chance gewesen, nach der langen Durststrecke wegen Corona wieder in größerer Zahl Gäste begrüßen und bewirten zu können. Karneval und auch ein bisschen Feiern sind – sofern der Corona-Pandemie angemessen geplant – aber auch nicht verboten. Wer sich ein paar Stunden Ablenkung gönnen will, soll das tun. Die Nerven liegen nach inzwischen Jahren der Pandemie ohnehin bei vielen blank. Gleichzeitig ist aber Verständnis gefragt, wenn Einrichtungen und Institutionen für sich entscheiden, den jecken Rahmen in diesem Jahr nicht anbieten zu wollen. Neben der Pandemie ist der Krieg Putins gegen die Ukraine ein weiteres Ereignis, das auch psychisch belastet und verarbeitet und verkraftet sein will. Niemand in Deutschland ist akut unmittelbar bedroht, in großer Gefahr sind die Menschen in der Ukraine. Dennoch macht der erste Angriffskrieg in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg vielen Angst. Besondere Aufmerksamkeit sollte Kindern und Jugendlichen gelten. Existenzangst, Sorge um die Familie, Konfrontation mit Bedrohung und Tod sind für Kinder noch viel schwerer zu verkraften. Viele Institutionen und auch Medien geben Hilfestellung, wie Eltern reagieren sollten: Sachlich bleiben, irrationale Ängste vor direkter Betroffenheit nehmen, Schutz und Sicherheit betonen, Gefühle ernst nehmen und Fragen beantworten, all das kann helfen. Zusätzlich sollten Eltern den Medienkonsum ihrer Kinder in diesen Zeiten besonders im Blick behalten: Gewalt in der Realität ist viel belastender und schwerer zu verarbeiten als fiktionale in Filmen, Serien oder Videospielen. Gemeinsam aktiv werden, nicht in Schockstarre verfallen, auch das gibt Sicherheit – Erwachsenen und Kindern noch viel mehr. Das kann der Besuch einer Mahnwache sein, vielleicht auch nur ein gemeinsamer Moment der Besinnung oder das Entzünden einer Kerze in einer Kirche. Und wenn es die Kinder im Kostüm auf die Straße treibt, dann ist auch das natürlich sehr in Ordnung. Es zeigt, dass Vertrautes bleibt und die Krise das Leben zwar nicht unberührt lässt, aber eben noch lange nicht beherrscht. Wenn der Karneval dazu beitragen kann, das zu vermitteln, dann hat er auch jetzt ein kräftiges „Ons Nüss Helau!“ verdient.