Premiere im Landestheater Menschen am Abgrund

Neuss · Marlene Anna Schäfer bringt mit ihrer Inszenierung von „Menschen im Hotel“ eine reduzierte Fassung des Romans auf die RLT-Bühne.

 Für wenige Momente sind die „Menschen im Hotel“ eine Gemeinschaft, die von  Kringelein (Stefan Schleue, 2.v.l.) zusammengehalten wird.

Für wenige Momente sind die „Menschen im Hotel“ eine Gemeinschaft, die von  Kringelein (Stefan Schleue, 2.v.l.) zusammengehalten wird.

Foto: Björn Hickmann

Zwei Frauen und fünf Männer stehen wie große Sprechpuppen auf der Bühne. Jede für sich, Figuren, die erst noch zu Menschen werden müssen, bevor sie jene berühren, die ihnen beim Leben am Abgrund zusehen.

Der Anfang von Marlene Anna Schäfers Inszenierung des Romans „Menschen im Hotel“ von Vicki Baum lässt nichts Gutes erahnen. Denn die Grusinskaja (Katharina Dalichau), Flämmchen (Teresa Zschernig), Generaldirektor Preysing (Peter Waros), Dr. Otternschlag (Jan Kämmerer), Baron Gaigern (Hubertus Brandt), Kringelein (Stefan Schleue) und Portier Senf (Pablo Guaneme Pinilla) scheinen nur schöne leere Hüllen zu sein, die zudem von Ausstatterin Marina Stefan in Kostüme gekleidet wurden, die wie aus einer anderen Galaxie zu kommen scheinen. Ein bisschen albern wirkt schon, dass Preysing einen Glitzeranzug trägt, Flämmchen als „Femme fatale“ eine wogende Haarpracht oder Portier Senf zwei lange, gegelte und an den Schläfen befestigte Haarsträhnen verpasst wurden. Vom Bodypainting bei Otternschlag mal ganz zu schweigen.

Doch was auf den ersten Blick wie eine Form der Hilfslosigkeit erscheint, diese sehr handfesten Menschen, die in einem Hotel aufeinander treffen und Stück für Stück ihre Seele entblößen, in den Griff zu bekommen (damit die Inszenierung sich von all den Fassungen, die es bereits im Film und auf der Bühne gibt, unterscheidet), gewinnt im Laufe des Abends an Kontur. Was aber vor allem den Schauspielern und den Musikern um Komponist Henning Brand zu verdanken ist.

Mag im Buch und auch sonst alle Welt immer von der Balletttänzerin Grusinskaja reden, im RLT ist es Kringelein, um den sich alles dreht. Stefan Schleues todkranker Buchhalter aus Preysings Baumwoll-Fabrik, der „das Leben nicht versäumen will“, ist so etwas wie das Schmiermittel in dieser kleinen Gruppe von Menschen. Für ihn finden sie sich kurz zu einer Gemeinschaft zusammen, scheinen dabei von ihren eigenen Problemen abgelenkt in dem Bemühen, dem Kranken „das Leben zu zeigen“ (Otternschlag). Kringelein ist ihr Rettungsanker, zumindest für eine kurze Zeit, bis die eigenen Zustände sie wieder einholen. Schleue spielt wunderbar. Leidet, wütet, staunt, freut sich und schiebt damit seine Figur fast unmerklich in den Mittelpunkt.

Allein Dalichau als Grusinskaja, die ihren Abstieg von der einst erfolgreichen Tänzerin zu einer an sich selbst zweifelnden und an ihrem Alter leidenden Künstlerin mit Diva-Allüren beikommen will, kann Schleues Spiel standhalten. Sie verliebt sich in Baron Gaigern, schöpft wieder Hoffnung. Dass sein Tod sie umwerfen wird, muss da gar nicht erst gezeigt werden, ist auch so zwangsläufig.

Als „Schauspiel mit Live-Musik“ ist die Inszenierung auch betitelt - und selten ist das so stimmig wie in diesem Fall. Nicht nur, weil Komponist Henning Brand als Schlagzeuger, Isabelle Marchewka (Harfe) und Streicher (abwechselnd) Radek Schwarz/Johannes Platz auf der Bühne (mit)spielen. Mit seinen Kompositionen hat Brand der Inszenierung auch eine zweite Ebene eingezogen. Er bleibt im Stil der 1920er Jahre, erinnert mal an Kurt Weill und Hanns Eisler, mal an Wiener Kaffeehausmusik, trifft mit den Texten exakt die Atmosphäre. Songs wie „Wach sein“ (Preysing/Waros) oder Flämmchens Lied (Zschernig) sind mehr als Einspieler, sie sind unverzichtbar, um einen Blick in das Innere dieser ansonsten eher schablonenhaft dargestellten Figuren zu offenbaren. Ein wahrer Glücksfall für Regie und Inszenierung – was Schäfer zweifellos auch erkannt hat.

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