Spezialgerät in Neusser Praxis Wie Patienten dank Lokomat wieder aufrecht gehen können

Neuss · Endlich wieder aufrecht gehen – dieses Erlebnis wird Petra Faerber aus Neuss in der Praxis für Physiotherapie von Tom Vanderhenst ermöglicht – und zwar mit einem ganz speziellen Gerät, einem Lokomat. An dessen Entwicklung hat Vanderhenst selbst mitgewirkt.

 Tom Vanderhenst befestigt den Gürtel des Lokomats an Patientin Petra Faerber. 
  Foto: woi

Tom Vanderhenst befestigt den Gürtel des Lokomats an Patientin Petra Faerber. Foto: woi

Foto: Andreas Woitschützke

Die 60-Jährige ist an Multipler Sklerose erkrankt und kann, mithilfe ihres Rollators, nur noch wenige Schritte gehen. Andernfalls ist sie auf einen Rollstuhl angewiesen. Nun hat sie sich für eine Therapie auf dem Lokomat entschieden. Diese robotergestützte Gangorthese ermöglicht ein sensorbasiertes, physiologisches und individuelles Gangtraining für stark beeinträchtigte Patienten. Das Gerät in der Neusser Physiotherapiepraxis hat die Seriennummer 183 – weltweit! In Deutschland gibt es lediglich ungefähr 30 Bewegungsroboter dieser Art, die meisten in neurologischen Rehazentren, die einen stationären Aufenthalt erfordern. An der Rheydter Straße ist das Training ambulant möglich.

„Wer laufen lernen will, muss laufen,“ bringt Vanderhenst, der das aufwändige Gerät nicht nur angeschafft, sondern mitentwickelt hat, das Prinzip des Lokomats auf den Punkt und erklärt, wie es genau funktioniert: „Die Patientin bekommt einen Gürtel um den Rumpf. Dieser sorgt für eine Gewichtsentlastung und Stabilität. Die Beine werden in die Schienen eingespannt. Für zusätzliche Sicherheit sorgen Griffleisten für die Hände rechts und links des Laufbands.“ Nun folgt die individuelle Einstellung, die gut zehn Minuten dauert: Beinlänge und -umfang, die Achse von Knie- und Hüftgelenk, Schrittlänge, Geschwindigkeit. Ziel der Therapie ist die Simulation einer natürlichen Bewegung ohne Schonhaltung und das Ansprechen aller Muskeln. „Jeder Schritt auf dem Laufband ist gleich lang und gleich weit und entspricht einem physiologischen Gangmuster. „Beim ersten Mal war das schon ganz schön spannend, aber ich werde mutiger, weil ich weiß, dass ich gut gesichert bin und beim Gehen nicht von Schmerzen gesteuert bin,“ sagt Petra Faerber.

Die „runde Bewegung“ trainiert und motiviert das Gehirn und sorgt so für ein hochintensives Training mit Lerneffekt. Menschen, die nach einem Schlaganfall einseitig gelähmt sind, können in den Lokomat „eingespannt“ werden und durch den symmetrischen Ablauf auch die schwache Seite fordern und bewegen. Gleiches gilt bei Parkinson, Multipler Sklerose, Querschnittlähmung, nach Schädelhirntrauma oder Zerebralparesen. Bei Spastiken wirkt das Training vorbeugend und entspannend. Neben der Verbesserung der Steh- und Gehfähigkeit, gibt es auch viele sekundäre Vorteile des robotergestützten Ausdauertrainings: Zum einen ist der psychologische Aspekt der Freude über die Aufrichtung nicht zu unterschätzen, aber auch Stuhlgang, Kreislauf und Atmung können sich durch die rhythmische Bewegung verbessern.

Tom Vanderhenst wurde in Belgien geboren und hat dort Orthopädie studiert – einen Studiengang, den es so in Deutschland gar nicht gibt und der ihn zum Physiotherapeuten ausbildete. Zudem ist er Gesundheits- und Bewegungswissenschaftler und hat als solcher bei der Firma Hocoma in der Schweiz gearbeitet und dort an der Entwicklung des Lokomats mitgewirkt. Seit fünf Jahren ist der Vater von zwei Kindern „der Liebe wegen“ in Neuss. Seine sieben Mitarbeiter sind speziell geschult, einer bleibt zu jeder Zeit bei der Patientin und überwacht das Training, dass als Ergänzungstherapie privat rezeptiert werden kann. „Wir ermöglichen hier mit der Physio- und Ergotherapie plus Lokomat-Training eine ambulante, neurologische Reha,“ erklärt Adriana Lutz, die als Ergotherapeutin bei Vanderhenst arbeitet und der Patientin hilft über „selbst gesetzte Grenzen hinaus zu wachsen.“ Petra Faerber ist nach der Einheit, bei der sie 332 Schritte gegangen ist, erschöpft und zufrieden. „Mir gibt das Training Sicherheit und Selbstvertrauen. Wenn die Angst aus dem Kopf raus ist, kann der Körper doch mehr als erwartet.“

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