Interview mit Pfarrer Sebastian Appelfeller aus Neuss „Es lohnt mehr Mut zur Ehrlichkeit“

Neuss · Heute beginnt die Fastenzeit. Das Motto der Protestanten: „Sieben Wochen nicht lügen“. Wie soll das gehen?

 Pfarrer Sebastian Appelfeller ist Vorsitzender der Evangelischen Gemeinden in Neuss.

Pfarrer Sebastian Appelfeller ist Vorsitzender der Evangelischen Gemeinden in Neuss.

Foto: Woitschützke, Andreas (woi)

Untersuchungen haben ergeben: Jeder von uns lügt. Und zwar mehrmals täglich. Wenn es auch nur kleine Unwahrheiten sind: Ganz streng genommen sind auch das Lügen. Das bundesweite Motto der evangelischen Kirche für die jetzt beginnende Fastenzeit lautet „Mal ehrlich! Sieben Wochen ohne Lügen“. Doch wie soll das genau gehen? Der Neusser Pfarrer Sebastian Appelfeller erklärt es.

Herr Appelfeller, was ist für Sie eine glatte Lüge?

Sebastian Appelfeller Eine richtige Lüge ist für mich, wenn sich jemand, aus Angst für etwas geradestehen zu müssen, von unbequemen Wahrheiten distanziert, oder wenn jemand, um sich einen Vorteil zu verschaffen, bewusst die Unwahrheit verbreitet. Im ersten Moment mag das verführerisch wirken, doch es richtet in der Regel Schaden an. Darum braucht es Mut, die unschönen Dinge anzusprechen. Erst das eröffnet Handlungsoptionen.

Was ist denn mit Gefälligkeitslügen? Fühlen sich andere nicht schlecht, wenn man gnadenlos ehrlich ist?

Appelfeller In einer Beziehung läuft Kommunikation auf verschiedenen Ebenen. Die sachliche ist nur eine davon. Darum ist es normal und richtig, dass wir zu unseren Partnern nicht immer schonungslos ehrlich sind, sondern auf einer emotionalen Ebene reflektieren, was wir mit welchem Urteil anrichten. Es hilft auch schon mal, etwas Nettes zu sagen. Eine alltägliche Begebenheit ist, dass der eine Nachbar dem anderen einen guten Morgen wünscht, obwohl er ihm den guten Morgen wegen eines Konfliktes gar nicht gönnt. Formal ist das nicht die Wahrheit. Dennoch bleibt er höflich und hilft beim sozialen Kontakt. Beim Fastenmotto geht es aber nicht nur darum, nicht zu lügen, sondern darum, ehrlich zu sein. Mutig wäre es, wenn der eine Nachbar das Gespräch mit dem anderen suchen und mit ihm offen über die Dinge sprechen würde, die ihn stören.

Was bedeutet das genau?

Appelfeller Es geht um mehr Mut zur Ehrlichkeit, darum, auch unbequeme Dinge offen anzusprechen. Das lohnt sich nicht nur, es ist auch absolut notwendig. Global lässt sich das am Klimawandel betrachten. Es braucht Mut, diesen anzusprechen. Wir machen uns verletzlich, weil wir vielleicht selbst zu wenig dagegen tun oder unsere Hilflosigkeit erleben. Doch wenn wir ihn verleugnen, wird es nicht besser. Ganz im Gegenteil. Nur wenn das Thema angesprochen wird und Menschen den Mut haben, sich damit auseinanderzusetzen, stehen Handlungsoptionen offen.

Also ist es gut, dort, wo es angemessen ist, auch mal die Komfortzone zu verlassen?

Appelfeller Auf jeden Fall. Als Christ vertraue ich darauf, dass es mehr gibt, als meine eigene Kraft, und ich mich vor meinen eigenen Fehlern nicht fürchten muss. Um eine Lösung zu finden, lohnt es sich, ehrlich zu sein – und sich von der Angst zu lösen, für etwas alleine geradestehen zu müssen.

Apropos christlicher Gedanke: Was bedeutet für Sie Wahrhaftigkeit?

Appelfeller Auch wenn das Wahre immer eine Frage der Perspektive ist, ist es nicht beliebig. Unser geschultes Gewissen sagt uns in der Regel sehr genau, was richtig oder falsch ist. Sich daran zu orientieren, das ist Wahrhaftigkeit.

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