Evangelisch in Neuss Pfarrer verschickt (fast) täglich eine Mail zum Innehalten

Neuss · Die Kirchen hatten und haben im Lockdown nach Wegen gesucht, mit der Gemeindemitgliedern in Kontakt zu bleiben und sie durch die Pandemie zu begleiten. Pfarrer Dirk Thamm schreibt dazu seit genau einem Jahr täglich seine Gedanken zur Tageslosung nieder und verschickt sie. Inzwischen hat er 290 feste „Abonnenten“.

 Dirk Thamm an seinem Schreibtisch. Von dort verschickt der Pfarrer tagtäglich seine Andachtstexte.

Dirk Thamm an seinem Schreibtisch. Von dort verschickt der Pfarrer tagtäglich seine Andachtstexte.

Foto: Andreas Woitschützke

Pünktlich um Mitternacht drückt er auf den Sendeknopf – jede Nacht oder fast jede, denn „wenn ich Urlaub habe, dann nicht“, sagt Pfarrer Dirk Thamm. Seit gut einem Jahr macht er das und ein Ende ist nicht abzusehen. Denn die Resonanz sei so positiv, dass er auf alle Fälle weitermachen möchte. Doch was steht drin in den Mails, die die Gemeindemitglieder in Weckhoven mitten in der Nacht von ihrem Pfarrer bekommen? Und wie ist er auf die Idee gekommen?

„Ganz einfach“, erzählt er, „ich habe überlegt, wie ich in Corona-Zeiten die Menschen erreichen kann.“ Und da lag es natürlich nahe, eine Mail zu schreiben. Doch nicht irgendeine. Ausgangspunkt ist die jeweilige Tageslosung aus dem alten Testament. Die lautet zum Beispiel für den 24. März: „Und Gott segnete sie und sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und machet sie euch untertan.“ (1. Buch Mose, 1,28). Zu den Losungen macht sich Thamm dann eigene Gedanken, die er dazu schreibt. „Leider haben die Menschen diese Aufforderungen falsch verstanden. Statt Achtung vor der Schöpfung Gottes zu haben, haben wir diese Schöpfung zum Wohl des Menschen ausgenutzt, ausgebeutet, zerstört. (...) Wir kaufen weiterhin Hähnchenschenkel im Supermarkt für 1,99 Euro das Kilo im Angebot. Unser Handel entzieht dem Tier, der Bäuerin und dem Verkäufer die Würde“, äußert Thamm seine Meinung zur Tageslosung vom 24. März. Und der plädiert für eine neue Bibelübersetzung, in der es dann heißen sollte: „Ich setze euch über die Fische im Meer, die Vögel in der Luft und alle Tiere, die auf der Erde leben, und vertraue sie eurer Fürsorge an.“

Damit nicht genug, für die Adressaten – mittlerweile sind es 290 – gibt es auch noch eine zum Thema passende Kurzgeschichte „obendrauf“. Die findet der Geistliche in seiner eigenen Bibliothek. „Ich liebe Geschichten, bin ein richtiger Sammler“, sagt Thamm.

Volle Ordner hat er mittlerweile auch mit seinen Mails, bald 350 hat er losgeschickt. Und es könnte noch Jahre so weiter gehen – vorausgesetzt, er hat noch Lust zu schreiben und die Empfänger noch Lust zu lesen. Und dass er seine Botschaften Punkt Mitternacht absetzt, hat damit zu tun, dass er, wie er  selbst sagt, eine Nachteule sei. Aber auch die vielen Reaktionen motivieren den Pfarrer weiter zu machen. „In manchen schildern mir die Menschen ihre ganz persönlichen Probleme“, sagt er. Und da in der Gemeinde nicht jeder digital unterwegs ist, gibt es einige, die das Ganze ausdrucken, und in Briefkästen stecken.

Wie lange er jeden Tag braucht, um seine „Reihe“ fortzusetzen, sei ganz unterschiedlich, sagt er. Übrigens: Wer beim Lesen Appetit bekommt, der kann gleich bei Sylvia und Alexander Hützen, die (im jetzt wegen Corona geschlossenen Clubheim des TC Weckhoven) Gerichte zum Abholen bruzzeln, bestellen. Denn deren Wochenkarte wird regelmäßig mitgemailt. „Ich finde, was die dort leisten, muss man unterstützen“, so Thamm. Was die Gottesdienste in der Karwoche und an Ostern angeht – darüber entscheidet das Presbyterium am Freitag. Anneli Goebels

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