Kultwirt in Neuss nimmt Abschied Auf Michael Bott! Die letzte Runde im Marienbildchen

Neuss · Der Kultwirt gibt am Sonntag seinen Abschied. Für ihn geht eine Achterbahnfahrt zu Ende. Viele Weggefährten werden am Sonntag im „Marienbildchen“ vorbeikommen.

Es ist noch gar nicht lange her, da hatte Michael Bott Angst um sein Markenzeichen. Seine nun 19 Monate alte Enkeltochter Lilly hatte im ersten Halbjahr ihres Lebens großen Gefallen daran gefunden, an den langen, grauen Barthaaren ihres Opas zu ziehen. „Zum Glück hat sie aber irgendwann damit aufgehört, sonst wäre der Bart jetzt weg“, sagt der 66-Jährige scherzhaft. Es soll Menschen geben, die verpassen sich nach einem abgeschlossenen Lebensabschnitt einen neuen Look. Bott versichert: „Der Bart bleibt dran.“ An seiner Frisur könne der Halbglatzenträger ohnehin kaum etwas ändern.

Drückt man es sportlich aus, dann befindet sich Bott auf der Zielgeraden. Am Sonntag wird er zum letzten Mal als Marienbildchen-Wirt hinter dem Tresen stehen. Doch bis das letzte Bier gezapft ist, gibt es noch einiges zu tun. Viele Stammtische, alte Freunde und Wegbegleiter kehren in diesen Tagen ein, um nochmal im „alten“ Marienbildchen ein letztes Alt zu trinken. Der Ruhetag fällt am Sonntag ausnahmsweise aus. Ob es ein gemäßigter Abschied wird? Darüber macht sich Bott keine Illusionen. Er rechnet vielmehr mit „kirmesähnlichen Zuständen“, wenn er ab 12 Uhr die große verzierte Holztür öffnet und zum „Kehraus“ lädt. Auch draußen werden Getränke ausgeschenkt, von 14 bis 18 Uhr spielt die Gruppe Replay, die das Marienbildchen seit rund 15 Jahren begleitet. „Bis in die Puppen“ soll es an seinem Abschiedsabend aber nicht gehen. Schließlich haben er und seine Frau Anne sich vorgenommen, mit dem gesamten Marienbildchen-Team noch in Ruhe ein Bier zu trinken. „Um 20 Uhr wollen wir Schluss machen“, kündigt Bott an.

Irgendwann ist auch mal gut. Das spüre Bott im Kopf. Die langen Tage und Nächte, der Schlafmangel: „Es ist ein 24-Stunden-Karussell.“ Körperlich fühlt sich der Mann mit dem Druidenbart und dem schnellen, kurzschrittigen Gang topfit. So fit, dass er bald ein altes Hobby – Tischtennis – wieder aufleben lassen möchte. Die Mitgliedschaft bei der DJK Novesia hat er nie gekündigt, auch wenn die Schläger im Laufe der Jahre verstaubten. Und da gibt es ja noch den alten Traktor (Baujahr 1952), der seit drei Jahren auf den TÜV wartet. Auch einen kleinen Job will sich Bott suchen – aber nicht in der Gastronomie.

Das Jahr, in dem er Pächter im Marienbildchen wurde, ist schwer zu vergessen. Schließlich gibt es da diese Euro-Eselsbrücke. Noch gut erinnert sich der Vater von zwei Kindern daran, wie er 2002 mit dem Vorgänger-Pächter zusammensaß, um die Preise in die neue Währung umzurechnen. Möglichst exakt, denn Bott wollte sich nichts nachsagen lassen: „Da kamen ganz krumme Zahlen raus, die wir dann angeglichen haben.“

Wenn Bott sein Leben Revue passieren lässt, spricht er von einer „Achterbahnfahrt“. Kreuzschule, kurze Zeit am Quirinus-Gymnasium, Kfz-Schlosser-Lehre mit 17 Jahren, Bundeswehr, nachgeholtes Abitur, abgebrochenes Lehramtsstudium, Job in einer Hausverwaltung. „Es ging immer weiter, aber nie so wie geplant“, fasst Bott zusammen. Bott war ungefähr 50, als sein damaliger Arbeitgeber Insolvenz anmeldete. Als er erfuhr, dass das Marienbildchen einen neuen Pächter sucht, nutzte er die Chance. Ohne den Zuspruch seiner Anne hätte er es aber nicht gemacht. „Ich war etwas ängstlich, auch weil ich eine kaufmännische Null bin“, sagt der 66-Jährige.

Das Marienbildchen ist aber nicht Botts erste gastronomische Station. Bereits als Student trug er Tabletts in der winzigen Eckkneipe „Schlösser Eck“, die sein Schützenkollege Herbert Geyr („Endlech Dobei“) eröffnet hatte. Von 1980 bis 2001 kellnerte Bott im „Ossi“ an der Büttger Straße. Beide Kneipen sind mittlerweile Geschichte.

Der Übergang zu Botts Ruhestand soll für die Gäste so sanft wie möglich ausfallen. „Es soll alles so bleiben wie es ist“, sagt der Kultwirt. Die Zügel hält dort in Zukunft Werner Galka von der „Wunderbar“ in der Hand. Lediglich seine Modellautos wird Bott mit in die neue Wohnung nehmen, die nur 100 Meter von seiner Noch-Arbeitsstätte entfernt liegt. Die Pächterwohnung, die man über die knarzigen Treppen erreicht, ist so gut wie leer geräumt.

Dass sein neues Heim bald mehr sein wird als eine Schlafstätte, daran müssen sich Bott und seine Anne erst gewöhnen. Einfach auf der Couch sitzen, ein Glas Wein trinken und den Abend genießen. Bott wird erst lernen müssen, das „24-Stunden-Karussell“ zu bremsen. Zumal er ab Januar als Opa Michael gleich doppelt gefordert sein wird. Denn Tochter Katharina erwartet das zweite Kind. Ob er dann erneut um sein Markenzeichen bangen muss?

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