In Neusser Lokal Zwei Frauen durch Lauge im Aperol verätzt

Neuss · Zwei Frauen wollten in einer Neusser Bar gemeinsam einen Aperol trinken und erlebten einen Albtraum. Eine der beiden gilt jetzt als chronisch krank.

 Ein Aperol Spritz im Glas (Symbolfoto).

Ein Aperol Spritz im Glas (Symbolfoto).

Foto: Pixabay

Das Getränk sah irgendwie anders aus. Nicht so leuchtend orange wie ein Aperol Spritz sein müsste. Das fanden auch die Bedienung in einem Lokal am Neusser Markt und der Barkeeper. Der soll, weil seine Kundinnen so skeptisch waren, an diesem verhängnisvollen Juni-Nachmittag noch einmal etwas Aperol nachgegossen haben.

„Probieren Sie mal“, habe die Serviererin Claudia Schroers (52) und Ulrike Calefice (51) nach deren Darstellung aufgefordert – und das taten die Freundinnen. In gutem Glauben. Sekunden später waren sie ein Fall für den Notarzt. Ein Alptraum, der noch nicht vorüber ist.

Die ärztliche Diagnose ist eindeutig. Schroers erlitt Verätzungen im Mundraum. Schleimhäute und Zahnfleisch lösten sich ab, der Geschmackssinn war für Wochen wie tot. Dazu kamen am Anfang Schroers zufolge höllische Schmerzen. „Wie eine Explosion. Alle Nerven schienen zu schreien: Gefahr.“ Sie spuckte das Gebräu sofort aus und spülte sich den Mund mit Wasser aus – und kam glimpflich davon.

Anders als ihre Freundin Ulrike Cafelice: Die hatte das Getränk zwar auch ausgespuckt, doch mit dem Speichel einen Rest davon heruntergeschluckt. Akute Folgen: Atemnot, Anschwellen und Aufplatzen der Lippen, Todesangst: „Ich musste mich direkt übergeben.“ Später stellten die Ärzte in der Notaufnahme des Lukaskrankenhauses fest: Zwei Drittel der Speiseröhre, Magen und Zwölffingerdarm wurden verätzt. Calefice kam auf die Intensivstation, weil die Gefahr einer Perforation drohte – und der Riss der Speiseröhre. „Heute gelte ich als chronisch krank“, sagt sie.

„Eine Perforation der Speiseröhre wäre lebensbedrohlich gewesen“, sagt Professor Tobias Heintges, der behandelnde Arzt im Lukaskrankenhaus. Noch schlimmer wäre in solchen Fällen nur, wenn von der Lauge etwas in die Lunge gekommen wäre. Aber auch so muss ein Patient nach einer Verätzung mit Spätfolgen rechnen: Innerhalb der nächsten Monate mit einem narbigen Zusammenziehen der Speiseröhre, was Schluckbeschwerden zur Folge hat. Langfristig mit einem deutlich erhöhten Krebsrisiko.

Dass die Verletzungen durch Lauge hervorgerufen wurden, steht zweifelsfrei fest. Schroers war geistesgegenwärtig genug, ihren Cocktail in eine leere Wasserflasche umzufüllen und mitzunehmen. Auf Anweisung der Polizei ließ das Gesundheitsamt des Rhein-Kreises Neuss die Probe untersuchen. Ergebnis: Das Getränk – bräunlich mit leichtem Graustich und Schwebeteilchen versetzt – hatte den basischen ph-Wert 13,4. „Höher als 14 geht nicht“, ordnet Heintges die Analyse ein. Zudem roch das Gebräu „deutlich nach Spüllauge“, ergänzt Benjamin Josephs, Sprecher des Rhein-Kreises den Befund. Wie war es in das Getränk gekommen?

Diese Frage ist seitdem strittig. Das Kreis-Gesundheitsamt, das erst am Tag nach dem Unfall in dem Lokal kontrollierte, „konnte keine Hinweise darauf finden, wie es zu der Verunreinigung gekommen ist“, sagt Josephs. Auch eine unangemeldete Kontrolle Tage später ergab „keine Hinweise auf systemische Fehler.“ Das Lokal blieb geöffnet.

Die Anzeigen der beiden Neusserinnen führten zu einem Ermittlungsverfahren, das die Staatsanwaltschaft allerdings vor einigen Wochen einstellen wollte. Begründung: Kein Beschuldigter zu ermitteln. Die Haftpflichtversicherung des Gaststättenbetreibers lehnte deshalb Anfang Oktober jede Zahlung ab. Die Schadenersatzansprüche seien unbegründet, heißt es in dem Schreiben.

Das sieht der Anwalt der Frauen anders. Der Barkeeper, so sein Argument, habe in der polizeiliche Vernehmung zugegeben, dass ihm das Getränk komisch vorgekommen sei. Dass er es trotzdem ausgab, begründe zumindest den Verdacht einer fahrlässigen Körperverletzung. Und dass Dritte oder gar die Frauen selbst etwas in den Aperol geschüttet haben, könne eindeutig ausgeschlossen werden, sagt er.

Der Anwalt legte Beschwerde ein und die Staatsanwaltschaft ermittelt wieder, wie Britta Zur als Sprecherin der Behörde auf Nachfrage bestätigt. Es gebe jetzt einen Beschuldigten, der aber noch vernommen werden muss. Der Gaststättenbetreiber äußert sich nicht zu den Vorwürfen. Auch für ihn ist dieser Albtraum noch nicht vorbei. „Ich werde ihn verklagen“, sagt Calefice.

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