Urteil am Neusser Amtsgericht 21-Jähriger bestiehlt Pfarrer und muss in Haft

Neuss · Der Verdächtige entwendete unter anderem Geld aus der Börse von Pastor Michael Nienaber. Er wurde zu 22 Monaten verurteilt.

Die Pastoren Michael Nienaber (l.) und Wilfried Korfmacher trafen am Mittwoch im Flur des Amtsgerichtes jenen jungen Mann wieder, den sie als Dieb gestellt hatten.

Die Pastoren Michael Nienaber (l.) und Wilfried Korfmacher trafen am Mittwoch im Flur des Amtsgerichtes jenen jungen Mann wieder, den sie als Dieb gestellt hatten.

Foto: A. Woitschützke

Mit knapp zwei Jahren Jugendstrafe ohne Bewährung ist am Neusser Amtsgericht der Prozess gegen das 21 Jahre alte Adoptivkind einer Großfamilie aus der Eifel zu Ende gegangen. Der gebürtige Äthiopier hatte zwei Neusser Pfarrer gleich mehrfach bestohlen und war deshalb wegen Diebstahls angeklagt. Hinter der Tat verbirgt sich eine beklemmende Lebensgeschichte.

"Der Angeklagte hat nichts erlebt, was man sich gerne vorstellt", sagte Richter Heiner Cöllen in seiner Urteilsbegründung. Der junge Mann war in Addis Abeba (Äthiopien) in großer Hungersnot aufgewachsen. Dort traf er dann auf eine Frau aus Euskirchen. Die Tochter eines schwerreichen Industriellen aus Düsseldorf adoptierte den Jungen - so wie 31 weitere Kinder aus armen Ländern in Afrika oder Südamerika.

Mit ihrem Mann zog die Lehrerin die Kinder auf einem Areal in der Eifel groß. Die vielen Adoptionen sorgten bundesweit für Schlagzeilen. Die Presse berichtete über das große soziale Engagement, selbst von Moderator Günther Jauch wurde die 32-fache Mutter schließlich eingeladen.

Die Integration des jetzt Angeklagten misslang jedoch. Im Alter von 13 Jahren musste der Junge in ein Heim, später wohnte er abwechselnd bei seiner Schwester oder einer Tante, die ebenfalls adoptiert worden waren. Vor sechs Jahren kam er zum ersten Mal mit dem Gesetz in Konflikt. Neben Einbrüchen gab es Raubüberfälle, knapp 100 Mal wurde er als Schwarzfahrer erwischt, fast vier Jahre lang saß der junge Mann in der jüngsten Vergangenheit im Jugendgefängnis. Erst im Sommer 2016 war er aus der Haft entlassen worden.

Die nächsten Probleme ließen aber nicht lange auf sich warten. "Er ist spielsüchtig", erklärte sein Rechtsanwalt am Mittwoch vor Gericht, "das wurde zuletzt immer schlimmer". 500 Euro, die ihm seine Schwester überlassen hatte, "verzockte" er nach eigenen Angaben binnen weniger Stunden. In Köln soll er außerdem einer Seelsorgerin das Portemonnaie gestohlen haben.

Auch in Neuss wurden zwei Geistliche Opfer des jungen Mannes. "Das war Ende März, da hat er morgens plötzlich an meiner Tür um etwas zu essen gebeten", erinnerte sich Pastor Michael Nienaber am Mittwoch als Zeuge vor Gericht. Anschließend, so dachte der Geistliche im Ruhestand, habe der Angeklagte die Wohnung wieder verlassen. Plötzlich habe er ihn im Halbschlaf jedoch wieder bemerkt. "Ich hatte geschlafen wie ein Murmeltier, da stand er plötzlich vor mir", so Nienaber, "er meinte, die Putzfrau hätte ihn herein gelassen." Kurze Zeit später bemerkte er, dass der Angeklagte ihn bestohlen hatte. Wertvolle Münzen fehlten ebenso wie Geld aus Nienabers Portemonnaie.

Eine Woche später tauchte der Afrikaner dann wieder am Marienkirchplatz auf. Er trat die Tür zum Pfarrbüro auf, konnte aber vom zufällig erscheinenden Pfarrer Wilfried Korfmacher gestellt werden. Der rief die Polizei - als die Beamten eintrafen, war der 21-Jährige aber schon über alle Berge. Wenige Tage später konnte er dann aber dingfest gemacht werden. Erneut hatte er die beiden Pfarrer am Marienkirchplatz um Essen gebeten. Bei dieser Gelegenheit verständigten sie wieder die Polizei, diesmal erschienen die Beamten rechtzeitig.

Vor Gericht entschuldigte sich der Mann bei den Geistlichen. Die Beute ist verschwunden. "Wie stellen Sie sich eigentlich Ihre Zukunft vor?", fragte Staatsanwältin Britta Zur - darauf hatte der Angeklagte keine rechte Antwort. Er wolle eine Ausbildung machen, wie er von seiner Spielsucht weg käme, vermochte er nicht zu sagen. Die Staatsanwältin beantragte daraufhin für den vielfach vorbestraften Mann 22 Monate Haft ohne Bewährung.

Cöllen schloss sich dem Plädoyer letztendlich an. "Die Lebensgeschichte ist bedrückend. Wir können nur hoffen, dass der Angeklagte jetzt in der Haft eine Ausbildung macht und auf den rechten Weg zurückfindet."

(NGZ)
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