Premiere am Rheinischen Landestheater Neuss Eine Expedition ins „Herz der Finsternis“

Neuss · Die neue Inszenierung des Rheinischen Landestheaters führt ihre Zuschauer in das „Herz der Finsternis“. So lautet der Titel einer 1899 erschienenen Novelle des britischen Autors Joseph Conrad.

 Sie sorgen dafür, dass Reinar Ortmanns Inszenierung von „Herz der Finsternis“ nachwirkt (v.l.): Josia Krug, Pablo Guaneme Pinilla, Philipp Alfons Heitmann (hockend), Linda Riebau und Stefan Schleue.

Sie sorgen dafür, dass Reinar Ortmanns Inszenierung von „Herz der Finsternis“ nachwirkt (v.l.): Josia Krug, Pablo Guaneme Pinilla, Philipp Alfons Heitmann (hockend), Linda Riebau und Stefan Schleue.

Foto: Björn Hickmann/stage picture

RLT-Intendant Reinar Ortmann hat sie zusammen mit dem Dramaturgen Sebastian Zarzutzki zu einem Bühnenstück umgeschrieben. Ein mutiges Unterfangen. Denn was Conrad hier aufgrund eigener Erlebnisse berichtet, ist ein einziger Alptraum. Der Seemann Marlow wird von der Belgischen Handelsgesellschaft auf eine Reise ins Innerste des damals sogenannten schwarzen Kontinents geschickt, der nach den Entdeckerreisen von Livingstone und Stanley auf den Karten noch immer als weißer Fleck gilt. „Ich verabscheue dieses Land von Herzen“, hatte Stanley seine Afrika-Erfahrungen resümiert.

Marlow, der Ich-Erzähler in Joseph Conrads Novelle, soll mit einem Dampfboot den Fluss Kongo hinauf fahren, um einen mysteriösen Elfenbeinhändler namens Kurtz zurück in die Zivilisation zu bringen. Dieser beherrscht, einem dämonischen Urwald-Prometheus gleich, das Leben und die Gedanken aller Menschen am großen Fluss.

Auf der Neusser Bühne stecken links und rechts Panama-Hüte auf Bambusstangen. Eine frühe Anspielung auf die Umzäunung des Kurtzschen Anwesens, wo schwarze Menschenköpfe den Zierrat bilden. Im Hintergrund flattert ein großer Gaze-Prospekt. Dort wird man im Laufe der folgenden 80 Minuten über Videoprojektion ein unendliches Meer von Bäumen, vom Wasser des Stroms gespiegelte Uferpflanzen, aber auch immer wieder ein Stück Elefantenhaut sehen. Nach vorn hin dominiert ein großes, bewegliches Podest. Es wird, mal als Schiffsplanke, mal als Podium den Handlungsablauf dominieren. Fünf Schauspieler teilen sich die Rolle des Erzählers Marlow, einer von ihnen wird am Ende als Kurtz erscheinen. Wie man auf dieses Erscheinen wartet, wie die Figur des Agenten gedanklich immer größeren Raum einnimmt, wie vermutlich jeder Zuschauer sich aufgrund des Gehörten seinen eigenen „Kurtz“ ausmalt, das ist die Kunst in Reinar Ortmanns Inszenierung.

Während man anfangs noch glaubt, die Zeit könne einem lang werden, weil so wenig geschieht in diesem Spiel, stellt man bald überrascht fest: Das „Kurtz“-weilige Gedankentheater hat den Saal im Griff. Zu Beginn hört man das Gespräch, das Marlow nach seiner Rückkehr mit der Geliebten des Agenten Kurtz führt. Er musste ihr die Nachricht von Kurtz‘ Tod überbringen. „Er war verkehrt für diese Welt“, sagt sie, „aber etwas von ihm muss bleiben.“ Und dann will sie seine letzten Worte wissen. Marlow gibt vor, er habe am Kongofluss mit dem Namen der Geliebten seine Augen geschlossen. Von wegen. „Bringt die Bestien alle um!“ lautet das Testament des Sammlers von tierischem und menschlichem Gebein, das er in weißem Kolonial-Leinen und affigen roten Schuhen vom Podest herab unter die Leute bringt.

Nicht erst am Ende fragt man sich: Warum eigentlich trägt der Kerl einen deutschen Namen? Es darf spekuliert werden. Der Autor von „Herz des Finsternis“ wurde 1857 als Józef Korzeniowski in der Ukraine geboren. Seine Familie musste im russischen Zarenreich Schlimmes erleiden. Die erste Silbe des alten Namens könnte daher, so glaubt der Regisseur, eine sinntragende Rolle gespielt haben. Selten hat man am RLT einen derart intensiven Abend erlebt. Spielarm? Vielleicht. Kopftheater? Ja. Nachwirkung? Zweifellos. Am Premierenabend gab es langen, wenn auch etwas verhaltenen Applaus. Das passte.

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