Lukaskrankenhaus in Neuss Gynäkologin hilft Frauen nach Genitalbeschneidung

Neuss · Jede Woche untersucht Agata Romanski-Ordas im Lukaskrankenhaus mindestens eine Patientin, die beschnitten wurde. Sie wünscht sich, dass das auch im Medizinstudium thematisiert wird.

Oberärztin Agata Romanski-Ordas hilft Frauen, die beschnitten wurden.   Foto: W. Walter

Oberärztin Agata Romanski-Ordas hilft Frauen, die beschnitten wurden. Foto: W. Walter

Foto: Wolfgang Walter

„In großen Kliniken werden es sicher mehr sein“, ist die Oberärztin der Gynäkologie am Lukaskrankenhaus überzeugt. Und die 37-Jährige hat sich mittlerweile immer mehr auf diesem Gebiet spezialisiert, will aufklären und hofft, dass das Thema bald auch ins Curriculum der Medizin-Studenten aufgenommen wird. „Das ist dort überhaupt kein Thema“, sagt sie empört. Grundsätzlich sollte medizinisches Personal, wie Hebammen, aber auch Erzieher und Lehrer viel besser darüber informiert sein – über den Eingriff und das damit lebenslange Leiden der Frauen. Romanski-Ordas spricht nicht von Genitalbeschneidung oder Genitalverstümmelung, sondern kurz von FGMC (Female Genital Mutilation/Cutting). Das mache die Eingriffe nicht besser, würde aber nicht so stigmatisieren.

Die dreifache Mutter lernt die betroffenen Frauen beim Verein „Stop - Mutilation“ in Düsseldorf kennen, wo sie ehrenamtlich tätig ist. Es sind Frauen, die geflüchtet sind, und die für das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein ärztliches Gutachten über den Grad ihrer Beschneidung benötigen. Weibliche Genitalbeschneidung wird in 31 afrikanischen Ländern praktiziert sowie in einigen Staaten in Südostasien und im Nahen Osten. Weltweit, so steht auf der Seite des Vereins, seien 200 Millionen Frauen und Mädchen beschnitten. In Nordrhein-Westfalen sind es schätzungsweise 22.483 Frauen und Mädchen, zudem rund 4000 Mädchen unter 18 Jahre gefährdet. Viele Familien, auch wenn sie hier leben, halten an der Tradition fest und lassen ihre Töchter beschneiden, meist in den Ferien im Herkunftsland.

„Die Beschneidungen der Frauen finden in tief patriarchischen Gesellschaften statt, wo Frauen keine Entscheidungen für sich selbst treffen können“, sagt die Medizinerin. Sie erklärt, dass es vier verschiedene Formen der weiblichen Genitalbeschneidung gebe – in Deutschland übrigens ein Straftatbestand, der mit einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft wird. „Bereits der Typ 1b, bei der den Frauen die Klitorisvorhaut und die Klitoris teilweise oder ganz entfernt wird, würde beim Mann der teilweisen oder vollständigen Penisamputation entsprechen“, informiert die Ärztin. Und sie erklärt weiter, dass beim Typ 3 die verbleibende Öffnung der Vagina nur so groß sei wie ein Reiskorn. Das würde dazu führen, dass die betroffenen Frauen lange Zeit für einen Toilettengang bräuchten, in Folge wenig trinken, um das mehrmals am Tag zu vermeiden.

Geschlechtsverkehr sei so unmöglich, weshalb die Frauen vor ihrer Verheiratung „geöffnet“ werden müssten, und sich vor der Geburt eines Kindes wieder einem medizinischen Eingriff unterziehen müssen, um die Öffnung zu vergrößern. Solche „Eröffnungen“ führt Agata Romanski-Ordas auch am Lukaskrankenhaus durch. Sie will aber vor allem auf das Thema aufmerksam machen, fordert mehr Sensibilität und ein ständiges „darauf aufmerksam machen“, dass „FGMC“ ein Straftatbestand ist, der Eltern in Deutschland auch das Sorgerecht kosten könnte. Ihre Assistenzärzte jedenfalls sind nah am Thema und „mein Chef steht voll hinter mir“. Anneli Goebels

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