Neuss gibt eine „Wahlparty“ aus Anlass von 100 Jahren Frauenwahlrecht „Ungleichheit betonen, Gleichheit  erreichen“

Neuss · Die Stadt Neuss lud zur „Wahlparty“ ins Kulturforum Alte Post ein, um die Einführung des Frauenwahlrechts vor 100 Jahren zu feiern.

 Die Gleichstellungsbeauftragten Hedwig Claes (l.) und Katja Gisbertz (r.) stellten Antje Schrupp als Festrednerin der „Wahlparty“ vor.

Die Gleichstellungsbeauftragten Hedwig Claes (l.) und Katja Gisbertz (r.) stellten Antje Schrupp als Festrednerin der „Wahlparty“ vor.

Foto: Woitschuetzke,Andreas (woi)

Es gab eine lange Zeit, in der Feministinnen verhöhnt, schikaniert und diffamiert wurden. Am 19. Januar 1919 durften Frauen dann aber zum ersten Mal wählen und sich zur Wahl stellen. Ein Meilenstein in der Geschichte, der auch in Neuss gefeiert wird. Aber: Ist das ein Anlass zum Feiern?

Diese Frage stellte sich Bürgermeister Reiner Breuer am Samstagabend, als er die „Wahlparty“ im Kulturforum Alte Post eröffnete, wo 100 Jahre Frauenwahlrecht gefeiert wurde. „Ist es nicht vielmehr ein selbstverständliches demokratisches Grundrecht, dass Frauen wählen und gewählt werden dürfen?“, lautete seine rhetorische Frage. Er erinnerte an zahlreiche Frauen, die sich vor und nach dem Krieg im der Kommunalpolitik engagiert haben und bis heute unvergessen sind, darunter die erste Bundestagspräsidentin Annemarie Renger. „Sie nahm sich das Recht, das auch sein zu können – und ließ es sich nicht nehmen, mit einem großen Auftritt beim Neusser Schützenverein, zwar ungebeten, aber neben dem Komitee die Parade abzunehmen“, erinnerte Breuer an eine besondere Anekdote.

„Manche Rechte muss man sich als Frau aber heute noch einfach nehmen und dafür kämpfen.“ Daran erinnerten die Gleichstellungsbeauftragten der Stadt Neuss, Hedwig Claes (Rat) und Katja Gisbertz (Verwaltung). Sie betonten, dass die Gleichstellung noch längst nicht den gewünschten und erforderlichen Stand erreicht hat. „Noch immer können einige Gesetze nicht ausreichend ausgeführt werden, ich denke da etwa an gleiche Löhne für Männer und Frauen oder die sexuelle Selbstbestimmung“, sagte Claes. Sie verwies auf den Internationalen Frauentag am 8. März, an dem dazu aufgerufen wird, in den Streik zu treten. „Getreu dem Motto: Wenn wir die Arbeit niederlegen, steht die Welt still.“

Vor den ausverkauften Rängen im Kulturforum wagte Katja Gisbertz schließlich einen Einblick in die geschichtliche Entwicklung des Frauenwahlrechts. „100 Jahre in 20 Minuten – wir Frauen lieben solche Herausforderungen“, sagte sie und lachte. In den wichtigsten Positionen der Gesellschaft hatte sich seit Jahrhunderten der Mann „häuslich eingerichtet“, erinnerte sie. „Da konnte den Frauen zurecht der Kragen platzen. So wurde der Protest härter. Frauen traten in Hungerstreiks, die gewaltsam gebrochen wurden. Und natürlich machten die Frauen aus der Not eine Tugend und verliehen sich den Hungerstreikorden und damit die Kraft, weiterzumachen.“ Gründe gegen das Wahlrecht von Frauen wurden damals viele angeführt. Hinter denen versteckte sich aber nur eines, sagt Gisbertz: „Die Männer wollten es erst gar.“ Aber die Frauen, von denen 82 Prozent im Jahr 1919 von ihrem Wahlrecht Gebrauch machten.

Für die Festrede konnte die Stadt Neuss die Buchautorin, deutsche Politikwissenschaftlerin, Journalistin, Bloggerin, Referentin und Übersetzerin Antje Schrupp gewinnen. Sie fand klare Worte dazu, wie es überhaupt soweit kommen konnte, dass Frauen aus der Politik ausgeschlossen wurden, sieht aber auch die aktuellen Entwicklungen: „Der aufkommende neue Feminismus macht Parteien, Kommunen, Bürgermeister nachdenklich. Und das ist auch gut so. Dennoch ist es schwierig, die Idee von Gleichstellung auch juristisch im Gesetz zu verankern. Die Zeiten haben sich geändert, und Gesetze, Parteien und Kommunen müssen das widerspiegeln, was die kulturelle Veränderung will.“ Die Frauenbewegung beginne nun zu realisieren, dass ihre Aufgabe mehr beinhaltet und größer ist, als lediglich für die Gleichberechtigung zu kämpfen. „Wir müssen die Ungleichheit betonen, um Gleichheit zu erreichen, eine Quote fordern, obwohl man weiß, dass das nichts bringt. Menschen sind nicht gleich, auch Frauen sind nicht gleich. Wir müssen mehr politische Verfahren entwickeln, die die Unterschiedlichkeit der Menschen akzeptieren.“

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