Wohnungsbau an der Neusser Augustinusstraße Baugrund gehörte jüdischen Unternehmern

Neuss · An der Augustinusstraße wird eine große Fläche für Wohnungsbau ins Auge gefasst. Freigeräumt wurde ein teil davon schon 1983, als – ohne konkrete Pläne – der 1971 unter Denkmalschutz gestellte Wohnsitz einer jüdischen Unternehmerfamilie abgerissen wurde.

 Das Gartengrundstück an der Augustinusstraße sorgt als Drogenumschlagplatz immer wieder für Polizeieinsätze. Entstanden ist er durch den Abriss eines Baudenkmals.

Das Gartengrundstück an der Augustinusstraße sorgt als Drogenumschlagplatz immer wieder für Polizeieinsätze. Entstanden ist er durch den Abriss eines Baudenkmals.

Foto: Christoph Kleinau

Unter dem viergeschossigen Gebäuderiegel, den sich die Stadt für Kostenpflichtiger Inhalt ihr Gruppen-Wohnprojekt an der Augustinusstraße gewünscht hat, sollten nicht nur zwei Altbauten verschwinden, sondern auch zwei Gartengrundstücke. Eines davon – Augustinusstraße 11 – gibt es erst seit 1983, als nämlich das ehemalige Wohnhaus der jüdischen Unternehmerfamilie Ulmer abgerissen wurde.

Der Abbruch erscheint in der Rückschau zumindest fragwürdig, weil das 1878 errichtete Gebäude erst 1971 auf Drängen des Stadtarchivars Joseph Lange unter Denkmalschutz gestellt worden war. Zudem erfolgte er, ohne dass – wie immer noch zu sehen ist – eine konkrete Neubebauung anstand oder in Sicht war. Dem Vorhaben widersetzte sich seinerzeit vor allem Amtsdirektor Johannes Sticker.

Bauherr war Nathan Ulmer, der im Mai 1832 in der Nähe von Montabaur geboren wurde und als Handlungsgehilfe 1857 von Köln nach Neuss zuzog. Grund dafür war die Heirat mit Johanna Bender, der Witwe von Salomon Sassen, der in Neuss als Altwarenhändler ansässig war und 1853 eine Anstalt für Lumpenreinigung und -sortierung gründete. Ulmer machte daraus 1863 eine Kunstwollfabrik, die hauptsächlich Shoddy, eine aus Trikotagen hergestellte Reißwolle, produzierte. Sie machte Ulmer zu einem wohlhabenden Mann, der auch in der jüdischen Synagogengemeinde einflussreich wurde. Sein Stiefsohn Emil Ulmer veräußerte das Unternehmen 1883 an die Krefelder Geschwister Michels, so dass die Kunstwollfabrik – bis zu einem neuerlichen Verkauf, diesmal an die christliche Konkurrenz im Jahr 1917 – fortan unter dem Namen Felix Michels & Cie firmierte. Firmensitz: Augustinusstraße 11.

Neuer Bewohner des repräsentativen Wohnhauses dort wurde 1883 Benny Bellerstein, der Schwager der Brüder Michels. Er hatte als Repräsentant einer führenden Neusser Firma auch Einfluss in der Handelskammer, unterstützte den Wohltätigkeitsverein „Chewra Gemilus Chassodim“, der bedürftige jüdische Familien in Neuss unterstützte, und gehörte von 1913 bis 1918 zum Vorstand der Synagogengemeinde.

Geblieben ist von alledem nur ein Garten, in dem mitunter Drogen konsumiert beziehungsweise gehandelt werden – und den deshalb auch die Polizei kennt.

(-nau)
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