Pro- und Contra-Reaktionen unserer Leser FDP nennt Pläne zur „autoarmen City“ in Neuss veraltet

Neuss · Die Idee von „Rot-Grün plus“, Glockhammer und Sebastianusstraße für Autos zu sperren, findet Befürworter und Kritiker. Mehr als 40 Zuschriften erreichten unsere Redaktion aus der Leserschaft. Auch die FDP äußert sich.

 Sebastianustraße und Glockhammer sollen weitgehend autofrei werden. Gut die Hälfte der NGZ-Leser befürworten das, während Kritiker als Konsequenz den Tod des Innenstadthandels befürchten.

Sebastianustraße und Glockhammer sollen weitgehend autofrei werden. Gut die Hälfte der NGZ-Leser befürworten das, während Kritiker als Konsequenz den Tod des Innenstadthandels befürchten.

Foto: Christoph Kleinau

Auf den Vorstoß der neuen Ratsmehrheit von SPD, Grünen und UWG/Aktiv für Neuss zur autoreduzierten Innenstadt kommt prompt die Reaktion der FDP. Sie nennt die Planungsabsichten veraltet und überholt und fordert die Ratsmehrheit auf, diese Pläne „endlich aufzugeben und Neuss zukunftsfähig zu machen“.

Dabei bleiben sich die Liberalen als „Autofahrer-Partei“ treu, wie die Ausführungen des Parteichefs Michael Fielenbach und des Fraktionsvorsitzenden Manfred Bodewig deutlich machen. Nur die Antriebsart ändert sich. „Die Pandemie hat als erstes Ziel für Innenstädte deutlich gemacht, dass der Erhalt und die Entwicklung des Einzelhandels nur mit modernen Autos mit alternativen Antrieben wie Elektro- und Wasserstoffantrieb möglich ist“, schreiben beide und ergänzen ihren Lösungsansatz noch um Mobilitätszentren und intelligente Logistiksysteme. „Wir haben schon seit langem bemängelt, dass die Fokussierung auf eine autofreie Innenstadt den Blick verengt, zukunftsfähige Lösungen und Einbeziehung aller möglichen Verkehrsteilnehmer zu entwickeln“, schreiben beide weiter. Dies bedeute auch, die möglichen zukünftigen Technologien bei Antrieben mit zu berücksichtigen.

SPD und Grüne gehen einen anderen Weg und haben schon in ihren Kommunalwahlprogrammen die Forderung nach einer weitgehend autofreien Innenstadt verankert. „Dass die SPD ähnliche Ansatzpunkte in ihrem Programm hatte, hat mit dazu beigetragen, dass es zu dieser Kooperation gekommen ist“, erinnert Roland Kehl. Für ihn und die Grünen sind „autoarm“ und der Ausbau eines „nachhaltigen, klimafreundlichen Mobilitätsnetzes, das Nicht-Autofahrer stärker als bisher bevorzugt“, wie es im Wahlprogramm heißt, zwei Seiten der gleichen Medaille.

Zumindest die Hälfte der NGZ-Leser gibt der neuen Mehrheit Recht, wie das – nicht repräsentative – Bild ergibt, das sich aus mehr als 40 Zusendungen zeichnen lässt, die die Redaktion zum Thema „Autoarme Innenstadt“ erreichte. Ein Teil davon – nach Pro und Contra getrennt – wird auf dieser Seite gekürzt veröffentlicht. Der darin abgebildete Meinungsbogen reicht von „Endlich“ bis „Finger weg“. Und viele Pro-Einsender meinen, dass sich das Thema nicht mit dem Glockhammer erschöpft hat.

Pro

Thomas Toll ist glücklich über den Anstoß, Sebastianusstraße und Glockhammer weitgehend vom Autoverkehr zu befreien. „Das kommt genau zur richtigen Zeit“, sagt der Einzelhändler, der lange Vorsitzender des City-Treffs war. Denn die Stadt der Zukunft brauche eine gewisse Gemütlichkeit und dafür zum Beispiel Außengastronomie. „Es gibt nichts Hässlicheres als parkende Autos“, sagt Toll. Er ist der Überzeugung, dass die Geschäfte an beiden Straßen nach einem Umbau eher mit mehr Umsatz rechnen können. „Wir brauchen eine Veränderung in Neuss“ – und mit einer fast autofreien Straße, auf der man ja einen Taxistand zulassen könnte, „hätte das etwas Neues“.

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Der Individualverkehr hat sich „bis in die letzte Lücke breit gemacht“, sagt Hildegard Dicken. Das werde man so nicht beibehalten können. „Es wird insgesamt ein Umdenken nötig sein“, sagt sie und ist grundsätzlich dafür, dass die Städte die Autos mehr zurückzudrängen. Einziger Knackpunkt aus ihrer Sicht: „Der Verkehr löst sich nicht auf, sondern belastet andere Straßen.“ Dafür müssten Konzepte her.

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„Die Ideen sind nicht neu“, sagt Thomas Zrdrzalek, der sich an weit zurückliegende Bürger-Workshops unter Leitung der Uni Wuppertal erinnert. Auch damals sei die Sperrung beider Straßen von einer Mehrheit befürwortet worden, die sich auch für eine Herausnahme der Straßenbahn ausgesprochen habe. „Vielleicht nimmt man sich einfach die alten Unterlagen mal zur Hand.“

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Den Vorstoß, Autos weiter aus der Innenstadt zu verbannen, begrüßt auch Anke Heyer. Aber, so schränkt sie ein, „so lange der Hauptstraßenzug immer noch für eine Straßenbahn freigegeben ist, nicht aber für Radfahrer, bleiben alle anderen Aktionen eher unsichtbar in ihrer Wirkung.“ Die parallel verlaufende Bustrasse biete ihrer Ansicht nach eine gute Alternative zur Straßenbahn. Heyer schlägt vor, diese an Hauptbahnhof beziehungsweise Stadthalle abzubinden. Für das letzte Stück in die City könnte man für Alte und Gehbehinderte Alternativen entwickeln.

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Auch Wolfgang Schmidt sieht kein Problem darin, wenn der Autoverkehr eingeschränkt würde, stößt sich aber ebenfalls am Thema Straßenbahn, „die teilweise fast leer mit überlangen Zügen durch die Stadt fährt“. Das schränke die Aufenthaltsqualität mehr ein als parkende Autos an der Sebastianusstraße.

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„Endlich tut sich was in Bezug auf Fahrradfreundlichkeit“, sagt Tanja Nuckel. Sie würde sich wünschen, dass der gesamte Innenstadtbereich nur für Anwohner befahrbar ist, „die restlichen Besucher sollen die Parkhäuser aufsuchen“.

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„Die Wahrnehmung, dass parkende Autos und Pkw-Verkehr eine Innenstadt verschönern, ist mir völlig unverständlich“, sagt Joachim Sinzig. Städte wie Münster, Utrecht und Groningen, „zeigen, wie es sein könnte.“ „Eine Anbindung von Büchel und Neustraße über die autofreie Sebastianusstraße und vielleicht später einen Fuß- und Radweg auf dem Mittelstreifen der Drususallee bis zum Stadtpark würde die Innenstadt um Klassen aufwerten.“

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„Das Thema ist viel zu lange vernachlässigt worden“, meint Horst Bentele, der die Argumente, die der Einzelhandelsverband gegen autofreie Innenstädte vorträgt, als „von vorgestern“ bezeichnet. Überall dort, wo verkehrsberuhigte Innenstadtbereiche geschaffen wurden, habe sich eine Belebung durch Fußgänger gezeigt. Verkehrsberuhigung alleine aber reiche nicht: „Die Aufenthaltsqualität muss gesteigert und von Anfang an mitgedacht werden.“ In diesem Punkt sei ein Defizit an Niederstraße und Krefelder Straße festzustellen. „Der Niedergang im Geschäftsbestand beweist dieses“, sagt Bentele, der sich dort – aber auch an der Hafenstraße – den Umbau zur verkehrsberuhigten Zone vorstellen kann.

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Die Krefelder Straße autoärmer zu gestalten und für Radfahrer freizugeben, wünschen sich auch Birgit und Horst Haude. Dort würden Knöllchen an Radfahrer verteilt, während die Autos fahren und vor den Läden parken. Die Innenstadt „für Fußgänger und Radfahrer sicherer und attraktiver zu machen“, befürworten sie: „Endlich!“

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„Klimawandel und Energiewende erfordern es, dass Neuss neue Wege geht“, sagt Marius Fister. Um Lärm und Abgase zu reduzieren, müssten Fußgänger und Radfahrer Priorität haben und mehr Raum bekommen. Das Argument, dass ohne Autos und Parkplätze Handel und Leben verschwinden, sei nicht stichhaltig, sagt Fister, der gleichwohl Wert darauf legt, dass die Interessen der Geschäfte und Anwohner berücksichtigt werden.

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Im Kern würden alle Studien bestätigen, dass 80 Prozent des Umsatzes im lokalen Einzelhandel nicht von Autofahrern stammen, sagt Karlhans Pfleiderer, der Städte benennen kann, in denen sich der Umsatz nach der Umwandlung von Straßen in verkehrsberuhigte Zonen eklatant erhöht hat. „Allerdings braucht es den Mut zu Fortschrittlichkeit.“

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„Autofrei ist gut“, sagt Peter Stengl, der sich für Besucher am Stadtrand eine Umsteigemöglichkeit in den ÖPNV mit „pauschaler Preisgestaltung“ wünscht.

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Gabriele Sobieslawsky meint: „Ich bin unbedingt für eine autofreie City – Neuss nervt manchmal sehr.“

Contra

Friedrich Heck ist Wohnungseigentümer am Glockhammer und reagiert auf die Absicht der neuen Ratsmehrheit „Rot-Grün plus“, Glockhammer und Sebstianusstraße weitgehend für den Autoverkehr zu sperren, mit Erstaunen und Verärgerung. Das Resultat wäre, sagt er überzeugt, dass weitaus mehr Geschäfte an beiden Straßen schließen würden. Seiner Ansicht nach macht eine solche Lösung auch deshalb keinen Sinn, weil die Parkhäuser Kaufhof und Meererhof nicht mehr zu erreichen wären. Denn eine Zu- und Abfahrt über die Spulgasse sei nicht möglich. „Dies hätte ein andauerndes Verkehrschaos zur Folge“, meint Heck. Für Innenstadtbesucher seien aber gerade diese beiden Parkhäuser attraktiv. Weitaus sinnvoller wäre es aus seiner Sicht, wenn sich „Rot-Grün plus“ mit der Zukunftsinitiative Innenstadt Neuss an einen Tisch setzen würde, um eine weitere Zerschlagung des Einzelhandels zu verhindern. Wichtig wäre es, dazu auch betroffene Anwohner und Immobilienbesitzer einzuladen.

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„Rein ideologisch gefärbt und an der Lebenswirklichkeit der Bürger vorbei“, bewertet Holger Kleinknecht die Pläne für eine autoarme Innenstadt. „Kein Bewohner der Neusser Peripherie wird sich vermehrt auf das Fahrrad setzen, um bei drei Grad und Nieselregen in die Innenstadt zu radeln“, sagt er. Neuss sei eben keine Metropole mit eng getaktetem U-Bahn-Netz. Kleinknecht nennt die Pläne einen weiteren Sargnagel für den Handel in der Innenstadt, der ohnehin gegenüber dem Online-Handel und dem autofreundlichen Rheinpark-Center ins Hintertreffen geraten sei.

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Die einzige Mitteldurchfahrt durch die Innenstadt sollte mit strikter Geschwindigkeitsbegrenzung oder eine Shared-Space-Lösung offen gehalten werden, sagt Roderich Plüschke. Er hält den Zeitpunkt, den Zugang zur Stadt zu erschweren, für schlecht gewählt, da wegen der Auswirkungen der Corona-Pandemie „viele Geschäfte in Konkurs gehen werden und die Stadt kämpfen muss, lebendig zu bleiben.“ Andererseits kann er die Terminwahl aber auch verstehen: „Da die Wahlen gerade erfolgt sind, glaubt man anscheinend, die Marter-Instrumente auspacken zu können.“

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Raimund Ross erinnert an die jüngste Umfrage der Zukunftsinitiative Innenstadt Neuss (ZIN) unter City-Besuchern. Demnach sind Autofahrer mit 28 Prozent die größte Kundengruppe in der Innenstadt, während ein Drittel von diesen erst im November auf Nachfrage erklärt habe, bei weiteren Einschränkungen seltener in die City kommen zu wollen. Ross zählt eins und eins zusammen und kommt zu dem Ergebnis: „Es werden noch mehr Geschäfte schließen.“

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„In meinen Augen handelt es sich um Handeln ohne Überlegung“, sagt Rosemarie Engel. Anscheinend gehe die Politik davon aus, dass nur junge und dynamische Menschen in Neuss wohnen würden. „Was ist mit der Generation über 60?“, fragt Engel, die argwöhnt, man wolle wohl die City für Außenbezirke wie das Dreikönigenviertel unerreichbar machen. „Ein weiterer Schritt dazu wäre der Wegfall der Parkplätze auf dem Wendersplatz.“

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Eine Innenstadt zum Spazierengehen braucht Ewald Wörmann nicht, dafür gebe es Wälder, sagt der Grevenbroicher. Die Vorstellungen der Politiker links der Mitte „Weg vom Auto. Alles über ÖPNV. Rest mit Radfahren“ würden sich gut anhören – wenn es da nicht die Wirklichkeit gäbe. Die sehe oft so aus: Überfüllte Straßenbahn, drängelnde Menschen, rücksichtslose Radfahrer und (nicht überall) wohnsitzlose Bettler in einem schmuddeligen Umfeld. Er kaufe daher nur dort ein, „wo ich einen Parkplatz habe.“

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Es sei falsch, die Innenstadt weiter auszutrocknen, sagt Ludwig Sarlette, denn die dort ansässigen Fachgeschäfte würden Kunden brauchen, die ansonsten in die Außenbezirke abdriften. Der Leerstand an der Sebstianusstraße sei bereits jetzt erschreckend, sagt der Unternehmer. Da dürfe man dem dort verbliebenen Handel nicht das letzte Wasser abgraben. Wohl dem, sagt er, der in der Innenstadt lebt und seine Einkäufe zu Fuß erledigen kann. Denn nicht jeder sei überhaupt in der Lage, mit dem Fahrrad zu fahren – das „sich ohnehin nicht sicher parkieren lässt“.

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„Das ist der Tod für den Einzelhandel in Neuss“, meint Eugen Friese schlicht. Er sei fast täglich in der Innenstadt – „natürlich wetter- und jahreszeitabhängig mit dem Pkw“. Sollte das wegfallen, würde er sich wohl umgewöhnen müssen. „Schade, wenn die City zu einer sterbenden Stadt wird.“

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„Mit solchen Ideen der Straßensperrung treiben die Politiker die Einkäufer nur in die Arme der Onlinehändler“, sagt Dietmar Rheidt. Der Rat sollte sich mehr mit der Frage beschäftigen, wie man mehr Leute in die City lockt. „Den Hauptstraßenzug zu überdachen, wäre nur eine – sinnvolle – Idee.“

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Eine Stadt ohne Individualverkehr sei eine tote Stadt, sagt Heinrich Haas, der sich zur Gruppe der Älteren zählt, die „nur extrem kurze Wege zurücklegen können“ und bei einer Sperrung vom Besuch der Innenstadt ausgeschlossen blieben. Wenn sich die, so wörtlich, vom Bürgermeister gekaufte Rot-Grüne Ratsmehrheit profilieren möchte, gäbe es andere Problembereiche, sich nützlich zu machen. „Wir alten Neusser möchten die Stadt behalten, wie sie immer war, ohne Profilierungsversuche von Neubürgern.“

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