Stadtarchiv Neuss Süße Erinnerungen an die Schokoladenfabrik

Neuss · Christoph Becker hat besondere Exponate an das Stadtarchiv übergeben, die an die Schokoladenfabrik Novesia erinnern. Sie stammen von seinem Großvater Theo Urbach. Was ist seine Geschichte?

 Christoph Becker (l.) bei der Übergabe der Exponate an Stadtarchivar Jens Metzdorf.

Christoph Becker (l.) bei der Übergabe der Exponate an Stadtarchivar Jens Metzdorf.

Foto: Andreas Woitschützke

Christoph Becker ist 61 Jahre alt. Er ist Ur-Neusser, lebt und arbeitet aber mittlerweile in Augsburg. Am Schützenfest nimmt er jedes Jahr mit großer Freude teil. Diesmal hatte er etwas Besonderes in seinem Gepäck: Exponate für das Stadtarchiv, die an die Schokoladenfabrik Novesia erinnern. Sein Großvater Theo Urbach (1895 bis 1960) hatte, zunächst als Angestellter, später als selbstständiger Handelsvertreter für die Schokoladenfabrik gearbeitet.

Ein Brieföffner in einem Lederetui, ein Globus und ein Barometer sind beispielhaft dafür, dass Novesia nicht knauserte, wenn es um Werbegeschenke für ihre Kunden ging. Noch interessanter sind die Geschäftsbücher des Großvaters aus der Zeit seiner beruflichen Selbstständigkeit: Mit gleichbleibend schöner Handschrift notierte er Einnahmen und Ausgaben. Eine Zahl sticht besonders in Auge: 7006,90 D-Mark – die Provision eines Monats Anfang der 1950er Jahre. Das war ein Ausnahmemonat aufgrund des Weihnachtsgeschäfts, aber auch die anderen monatlichen Provisionen mit knapp 6000 oder ziemlich genau 7000 Euro waren für die damalige Zeit beachtlich. Kein Wunder, dass sich Theo Urbach einen Chauffeur leisten konnte und ein schönes Haus an der Simrockstraße bauen lassen konnte.

Dort lebt heute der Bruder von Christoph Becker und er gewährt dem Jura-Professor während der Schützenfesttage immer Logis. „Es hat im Rheinland sehr viele kleinere Schokoladenfabriken gegeben“, weiß Jens Metzdorf, der Leiter des Stadtarchivs. Was aus der Sicht des Historikers bemerkenswert ist: „Früher fühlten sich die Mitarbeiter ihrem Unternehmen sehr verbunden, arbeiteten dort Jahrzehnte lang.“ Dass ein selbstständiger Handelsvertreter einen Chauffeur einstellen konnte, sei ein Beispiel dafür, dass es früher viel mehr einfache Berufe gab, die es jedermann ermöglichte, eine Arbeit und damit eine solide Lebensgrundlage zu finden und damit zugleich auch Würde und Ansehen.

Die Firma Novesia, in der unter anderem die bekannte „Goldnuss“ hergestellt wurde, gehörte der Neusser Familie Feldhaus. Firmengründer Peter Ferdinand Feldhaus war Apotheker – ihm gehörte die Löwenapotheke, die er später aufgab, um sich ganz der Schokoladenproduktion zu widmen. Klaus Lerch hat die Geschichte des Familienunternehmers aufgeschrieben, das Buch „Schokolade aus Neuss“ ist im Stadtarchiv erhältlich.

Theo Urbach war ein Jugendfreund von Hans Feldhaus. 1950 entschied er, freier Handelsvertreter zu werden, die Bindung an die Schokoladenfabrik sollte unter dieser Entscheidung nicht leiden. Novesia produzierte unter anderem dort, wo jetzt der Haribo-Goldbär über das Werk zu wachen scheint. Zum Werk gehörte auch das Gebäude an der Augustusstraße/Ecke Stresemannallee, in dem die Augustinerinnen gelebt haben. Der Verkauf der Firma war ein großer Schock, nicht zuletzt wegen der starken emotionalen Bindung der Angestellten und Arbeiter zu „ihrem“ Unternehmen.

Theo Urbach sollte es nicht vergönnt sein, seinen Ruhestand zu genießen: Er starb im Oktober 1960 im Alter von 65 Jahren an Krebs. Der Grund für das Ende von Novesia lag in der Verteuerung der Haselnüsse, die in 70 Prozent der Produktpalette enthalten waren. Die Konsumenten waren nicht bereit, die gestiegenen Preise zu bezahlen. „Bereits zum Jahreswechsel 1979/1970 wurden in Neuss 20 Mitarbeiterinnen der Abendschicht entlassen und Kurzarbeit angekündigt“, schreibt Lerch in seinem Buch. „Aus Neuss keine Schokolade mehr“, lautete die Schlagzeile der Tagespresse. Darunter stand: „Tiefe Enttäuschung bei gut 350 Mitarbeitern“.

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