1973: Arbeitskampf für Gleichberechtigung Zeitzeuginnen berichten über Frauenstreik bei Pierburg

Neuss/Düsseldorf · 1973 war das Streik-Jahr vieler Gastarbeiterinnen, so auch bei Pierburg in Neuss. Drei Zeitzeuginnen berichten jetzt von ihren Erlebnissen.

 Arbeiterinnen beim Pierburg-Streik 1973 in Neuss. 

Arbeiterinnen beim Pierburg-Streik 1973 in Neuss. 

Foto: Stadtarchiv Neuss

Über 300 Streiks, initiiert von ausländischen Fließband-Arbeiterinnen, finden im Jahre 1973 in Deutschland statt. Tausende Gastarbeiterinnen aus Südeuropa kämpfen für mehr Lohn, bessere Arbeitsbedingungen und Gleichberechtigung. So etwas hatte es zuvor noch nie gegeben. Ebenfalls einzigartig ist die Welle der Solidarität, die die Frauen mit ihrer Auflehnung losreißen: Männer, Facharbeiter und die Betriebsräte schließen sich schließlich den Streiks an und sorgen gemeinsam für einen erfolgreichen Ausgang der Arbeitskämpfe. So auch beim Frauenstreik beim Automobilzulieferer Pierburg im August 1973 in Neuss.

Josefa Maruccio, Irina Vavitsa und Gabriele Koenen waren bei den Streiks in Neuss und Lippstadt (Firma Hella) dabei. Am Mittwoch erzälten sie in der Zentralbibliothek in Düsseldorf im Rahmen des Projektes „#Meinwanderungsland“ des Dokumentationszentrums und Museums über die Migration in Deutschland (Domid), wie sie die Zeit erlebt haben.

 Josefa Maruccio (v.l.) Irina Vavitsa und Gabriele Koenen streikten 1973 in Neuss und Lippstadt für bessere Arbeitsbedingungen und  fairen Lohn.

Josefa Maruccio (v.l.) Irina Vavitsa und Gabriele Koenen streikten 1973 in Neuss und Lippstadt für bessere Arbeitsbedingungen und  fairen Lohn.

Foto: Maren Könemann

„Wir haben immer zusammengehalten“, erinnert sich Gabriele Koenen. Die 67-Jährige arbeitete 42 Jahre lang bei Pierburg am Fließband – davon 20 Jahre in der Nachtschicht – und baute Vergaser und Benzinpumpen zusammen. Die Arbeitsbedingungen, erzählt sie weiter, seien nicht gerade gut gewesen. „Es war sehr dreckig. Und man musste aufpassen, dass man keine Fehler macht.“ Es habe auch Baracken auf dem Gelände der Firma gegeben, in denen bis zu sechs Arbeiterinnen in einem Zimmer untergebracht waren. Besuch sei dort strengstens verboten gewesen. Das bestätigt Josefa Maruccio, die in so einer Baracke wohnte und ihren Mann, der ebenfalls bei Pierburg arbeitete, dort nie empfangen durfte. Und so kam es, dass sich die Neusser Grünanlagen am Wochenende mit   Liebespaaren füllten – und bald als für Kinder unzulässig erklärt wurden, wie eine Zeitzeugin aus dem Publikum berichtete.

Hinzu kam die schlechte Bezahlung: Frauen wurden bei Pierburg in der sogenannten „Leichtlohngruppe 2“ mit gerade einmal 4,70 DM pro Stunde entlohnt, während Männer für die gleiche Arbeit 6,10 DM erhielten. Gemeinsam gingen die Pierburg-Frauen deswegen am 14. August 1973 auf die Straße. Mit Schildern und Megafonen forderten sie bessere Arbeitsbedingungen, Gleichberechtigung und „eine Mark mehr“. Sie trotzten der Polizei, die oft mit Prügeln antwortete, und legten den kompletten Pierburg-Betrieb lahm. Doch nicht nur das: Nach und nach schlossen sich auch die Männer im Werk dem Streik an, bis schließlich auch der Betriebsrat reagierte. „Die Solidarität und der Respekt waren da“, erinnert sich Irina Vavitsa (69), die sich seit den Streiks in der IG Metall engagiert. Von den Streiks habe sie viel gelernt, sagt sie. Zuvor habe den Arbeiterinnen niemand erklärt, was ein Betriebsrat oder ein Tarifvertrag sei, doch heute weiß sie: „Der gute Wille reicht nicht, man braucht eine starke Organisation.“

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