Forum der Münchner Sicherheitskonferenz in Neuss Wie die Zeitenwende Deutschland fordert
Neuss · Mehr deutsche Waffen für die Ukraine? Was bedeutet Putins erneute Drohung mit einem Atomschlag? Antworten gab es bei „Zeitenwende on tour“, einer Diskussion mit Bürgern und Experten der Münchner Sicherheitskonferenz in Neuss. Meinungen und Prognosen, Bilder des Abends und ein Video mit den wichtigsten Statements.
„Zeitenwende on tour“ – Diskussion im Zeughaus Neuss
Wladimir Putin ordnet im Krieg mit der Ukraine eine Teilmobilmachung an und droht mit Atomwaffen. Bundeskanzler Olaf Scholz wirft dem russischen Präsidenten in seiner Rede bei den Vereinten Nationen „blanken Imperialismus“ vor. Dass Deutschland und die Welt eine Zeitenwende erleben, wird Tag für Tag deutlicher. Zeit zu reden. Die Stiftung Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) hat dazu am Freitagabend das Forum geboten. „Zeitenwende on Tour“ heißt ein neues Format, mit dem der MSC-Vorsitzende Christoph Heusgen quer durch die Republik mit Experten, aber auch mit Bürgern ins Gespräch kommen will.
Den Auftakt machte Heusgen in seiner Heimatstadt Neuss. Im Zeughaus diskutierte der langjährige außen- und sicherheitspolitische Berater von Angela Merkel und frühere Ständige Vertreter Deutschlands bei den Vereinten Nationen mit CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen, Ulrike Demmer, ehemalige stellvertretende Sprecherin der Bundesregierung, EU-Parlamentarierin Terry Reintke (Grüne), der Wirtschaftsweisen Veronika Grimm und Moritz Döbler, Chefredakteur der Rheinischen Post. „Die Zeitenwende ist das, was wir alle gemeinsam daraus machen. Mit ,Zeitenwende on Tour’ werden wir die wichtigen Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik mit den Menschen in unserem Land diskutieren, Zusammenhänge verständlich machen und die Erwartungen der Bürgerinnen und Bürger an die Zeitenwende aufnehmen. Wir brauchen jetzt diese breite gesellschaftliche Debatte“, sagt Heusgen.
Im Fokus stehen dabei natürlich auch die neuesten Entwicklungen im Ukraine-Krieg: Röttgen sieht Putin angesichts militärischer Misserfolge „wahnsinnig unter Druck“. Die Autorität des russischen Präsidenten beginne angesichts des Widerstandes in der eigenen Bevölkerung gegen die jüngst angeordnete die Teilmobilmachung zu bröckeln.
Auch Heusgen sieht Putins Basis schwinden, dafür spreche die Massenflucht von Russen ins Ausland – eine Reaktion auf die Mobilmachung, die damit zu scheitern drohe. Zudem sei der Ruf des russischen Präsidenten auch bei seinen Verbündeten beschädigt. China habe Bedenken gegen die jüngst von Russland betriebene Eskalation geäußert, auch zentralasiatische Länder verhielten sich distanziert. Jetzt, so Heusgen, komme es darauf an, dass der Westen die Ukraine weiter konsequent unterstütze.
Für Röttgen bedeutet das auch ganz konkret die Lieferung von Kampf- und Schützenpanzern. Ein militärisches Zurückdrängen Russlands sei die Bedingung dafür, dass eine neue Phase von Verhandlungen, Diplomatie und Politik überhaupt erfolgreich sein könne. Die zögerliche Haltung von Bundeskanzler Scholz in dieser Frage spalte Europa und enttäusche vor allem die verbündeten Länder in Osteuropa.
Terry Reintke hingegen betont, dass die Herausforderungen der kommenden Monate – Ukraine-Krieg, Klima-Krise, zunehmende soziale Ungerechtigkeit – nur auf europäischer Ebene gelöst werden können. „Es gibt in Europa allerdings auch den klaren Wunsch, dass Deutschland auch mal eine Führungsrolle übernimmt“, sagt Reintke, die Waffenlieferungen ausdrücklich befürwortet.
Mit Blick auf die Auswirkungen des Ukraine-Krieges lenkt die Wirtschaftsweise Veronika Grimm den Blick auch auf die ökonomischen Effekte. Die Belastung der Bürger durch die hohen Energiepreise sei enorm, ein Energiepreisdeckel könne deshalb ein richtiger Schritt sein, vorausgesetzt er sei verbunden mit deutlichen Sparanreizen. Wohin das führt für die Bürger und für die Wirtschaft? Moritz Döbler, Chefredakteur der Rheinischen Post, sieht diese Frage derzeit völlig offen: „Wir wissen nicht, ob unser Geschäftsmodell in Nordrhein-Westfalen, in Deutschland, in Zukunft noch funktioniert.“ Niedrige Energiekosten, hohe Löhne, Produkte auf technisch höchstem Niveau, mit denen im Export gutes Geld verdient wird – mit der Zeitenwende könnte dieses Modell infrage gestellt sein. Entscheidend, so Döbler, werde das künftige Verhältnis Deutschlands zu China sein. Die Abhängigkeit von diesem Markt sei groß, viel größer als von Russland. Döbler vermisst in der Politik den Fokus auf solche, sehr entscheidenden Zukunftsfragen: „Statt dessen konzentrieren wir uns auf die Landtagswahl in NIedersachsen. das ist so wenig ernsthaft, das stört mich.“