Friedensprojekt der Stadt Neuss und Leuven Die zerbrochenen Glocken tönen wieder

Leuven/Neuss · Die Zerstörung Leuvens 1914 wurde zum Synonym für deutsche Kriegsgräuel. Die alliierte Propaganda sprach von den „zerbrochenen Glocken Flanderns“. Als Friedensglockenspiel kehren sie 100 Jahre später mit Neusser Hilfe zurück.

 Luc Rombouts, Carillonneur von Leuven, am Spieltisch des Friedensglockenspiels.

Luc Rombouts, Carillonneur von Leuven, am Spieltisch des Friedensglockenspiels.

Foto: Christoph Kleinau

Das Geläut von St. Quirin könnte bald größer werden. Denn die Glocke, mit der die Neusser Delegation am Wochenende beim Festakt zur Einweihung des rekonstruierten Friedensglockenspiels in Leuven überrascht wurde – sie soll klingen. Bürgermeister Reiner Breuer besprach eine Weitergabe der Schenkung an die Neusser Urpfarre noch beim Empfang in der Parkabtei in Leuven mit Domkapitular Monsignore Guido Assmann, dem Oberpfarrer an St. Quirin. Der war spontan dafür.

Der Klang der Glocken würde mit der Prämonstratenserabtei von Park und der Neusser Basilika zwei Orte miteinander verbinden, an denen seit dem Mittelalter der Neusser Stadtpatron St. Quirin verehrt wird. „Dieser wundersame Zufall verstärkt die neu geknüpfte Verbindung unserer beiden Städte noch“, betonte Denise Vandervoort, die Beigeordnete für Kultur der Stadt Leuven. Deutlichster Ausdruck dieser Verbindung aber ist das Carillon von Leuven selbst. Zerstört bei einem Massaker zu Beginn des Ersten Weltkrieges, für das maßgeblich Soldaten eines Neusser Landsturm-Bataillons verantwortlich waren, erklang es nun, am 100. Jahrestag des Kriegsendes, zum ersten Mal wieder.

 Die 40 Glocken für das Instrument wurden auch mit Spenden der Neusser Bürgerschaft finanziert.

Die 40 Glocken für das Instrument wurden auch mit Spenden der Neusser Bürgerschaft finanziert.

Foto: Christoph Kleinau

Mit dem Treffen vieler Staatschefs wurde am Sonntag in Paris an das Ende des Ersten Weltkrieges erinnert. Das war „große Politik“. Doch auch das einmalige – weil grenzüberschreitende – Friedensprojekt der Städte Neuss und Leuven erregte in diesem Kontext große Aufmerksamkeit. „Das, was hier in Leuven geschieht, ist so wunderbar“, sagte Marianne Thyssen, EU-Kommissarin für Soziales. „Dass wir der Vergangenheit gedenken, der Geschichte einen Platz geben, indem wir uns bei einem herrlichen Beispiel des europäischen Kulturerbes versammeln“. Und Volker Timmermann, ständiger Vertreter des Leiters der deutschen Botschaft in Belgien, unterstrich das noch. Er nannte das mit viel bürgerschaftlichem Engagement in beiden Städten zustande gekommene Symbol für die Aussöhnung ehemaliger Kriegsgegner in Anwesenheit der flandrischen Regierung und von Belgiens Justizminister eine „beeindruckende und faszinierende Geschichte“.

 Die Parkabtei in Leuven. Von der Klosterkirche erklingt wieder das Friedensglockenspiel.

Die Parkabtei in Leuven. Von der Klosterkirche erklingt wieder das Friedensglockenspiel.

Foto: Christoph Kleinau

Luc Rombouts, Carillonneur der Universität Leuven, bekommt mit dem Glockenspiel in der Abteikirche ein neues Instrument hinzu. Erst mit der Rückkehr dieses Klanges ist für ihn die seit Jahren betriebene Sanierung des seit dem 12. Jahrhundert bestehenden Klosterkomplexes komplett. Das erste Stück, das er darauf spielte, „A Sacred Suite“ von Geert D’hollander, erklang zeitgleich von mehr als 50 Glockentürmen weltweit. „Auf diese Weise wird über eine Distanz von Tausenden Kilometern gemeinsam musiziert“, sagte Moderator Kurt Feyaerts. Die Idee, diesem weltweiten Glockenspiel-Konzert eine Neusser Stimme hinzuzufügen, hatte sich leider nicht umsetzen lassen. Einen Spieler hatte die Stadt zwar gefunden, doch mit dem Schützenglockenspiel nicht das passende Instrument.

 An die Untaten deutscher Soldaten in Leuven erinnert ein Denkmal auf dem Martelarenplein.

An die Untaten deutscher Soldaten in Leuven erinnert ein Denkmal auf dem Martelarenplein.

Foto: Christoph Kleinau

Für viele Redner in Leuven war der Abschluss des Projektes auch ein Anfang. „Aus diesem Projekt ist eine noch junge Freundschaft zwischen unseren beiden Städten entstanden. Die kulturelle Zusammenarbeit verbindet, was von den Flamen des Ersten Weltkrieges getrennt wurde“, sagte Bürgermeister Reiner Breuer, als er in der Abteikirche die erst am Freitag vom Neusser Stadtrat beschlossene Friedensresolution an seinen Leuvener Amtskollegen und Freund Louis Tobback überreichte. Für den 80-jährigen Tobback war der Festakt zur Eröffnung aber auch ein Abschluss. Seine Amtszeit als Bürgermeister endet zum Jahreswechsel. Vielleicht war es dem Demokraten und Europäer auch deshalb ein Anliegen, vor „Kleinstaaterei und dem Rückfall in Nationalismen“ zu warnen und zur Wachsamkeit aufzurufen.

 Reiner Breuer überreicht Louis Tobback (r.) die vom Rat verabschiedete Erklärung zum Kriegsende.

Reiner Breuer überreicht Louis Tobback (r.) die vom Rat verabschiedete Erklärung zum Kriegsende.

Foto: Christoph Kleinau

Diese Botschaft hatte er schon am Morgen an die Veteranenverbände gerichtet, als am Martelarenplein vor dem Hauptbahnhof, wo an jenen blutigen Kriegstagen im August 1914 die meisten der am Ende 240 Opfer aus der Leuvener Zivilbevölkerung zu beklagen waren, mit einer Gedenkstunde an das Ende des Ersten Weltkrieges erinnert wurde. Mit dabei war auch eine große Neusser Delegation – mit Stadtarchivar Jens Metzdorf. Der „Hauptverantwortliche“, wie ihn Tobback nannte. Erst sein Aufsatz zur Aufarbeitung des Massakers und der Rolle des Neusser Landsturms hatte das Thema in die Öffentlichkeit gebracht. Nie hätte er damals gedacht, gab Metzdorf zu, was daraus entstehen sollte.

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